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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Kakofonie der Meinungen ist wie das Summen im Bienenkorb. Die einzelne Biene hörst du nicht mehr raus. Heute hält sich zwar jeder für besonders und preist seine Individualität. Aber wenn alle was Besonderes sind – wo ist dann das Besondere? Mit anderen Worten: Diese ganze sogenannte Demokratie des Westens wirkt wie ein gigantischer diffuser Filter, hinter dem alle Konturen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Übrig bleibt ein grauer Brei, in dem Worte nichts mehr gelten und keiner den anderen erkennt. Wir haben vergessen, wer wir sind.
    »Ich hab ein Problem, Kudella.«
    »Bin ganz Ohr, Conchita!«
    »Lia«, verbessert sie mich.
    Gut, denke ich, dann eben »Lia«.
    Ich wende mich ab, hebe einen Kiesel auf und lasse ihn übers Wasser tanzen. Früher hat sie mich immer dafür bewundert, denn sie bekam es nie so schön hin.
    »Willst du nicht wissen, worum es geht?«
    »Wenn es um Roland geht, nicht«, erwidere ich und werfe einen zweiten Kiesel, »und wenn es um irgendwelche blöden Anschuldigungen geht, auch nicht.« Den Beleidigten spielen kann ich auch.
    »Herr Rouché hat gesagt, du hast den Bus nicht angesteckt.«
    »So. Hat er das.«
    »Und wegen Roland bin ich erst recht nicht hier.« Jule tritt neben mich.
    »Sondern?«, frage ich und konzentriere mich auf den nächsten Kiesel.
    »Mann, ich bin wegen dir hier«, bricht es plötzlich aus ihr heraus, »nur wegen dir. Na, wenigstens fast.«
    Ach ja?
    Was für eine unglaubliche Wendung, denke ich. Heute Nacht hat sie mich noch mit ihrem Blick töten wollen, und jetzt turtelt sie wieder drauflos. Weil der olle Rouché was bestätigt hat, was ich auch schon gesagt hab. Ich war’s nicht. Punkt. Warum glaubt sie ihm und nicht mir? Weil er seriöser ist?
    Sie nimmt mich vorsichtig am Ärmel. »Willst du mich nicht wenigstens ansehen?«
    »Mann, Mann, Jule!« Was soll ich davon halten? »Im Zweifel traust du mir jede Schweinerei zu. Also lass es einfach, okay?«
    »Ich hab dir unrecht getan«, gibt sie zu, »tut mir leid.«
    Mir auch, denke ich.
    »Ob du’s nun glaubst oder nicht: Ich hab dich vermisst, all die Jahre in Düsseldorf.«
    »Und warum hast du mir dann nie geschrieben?«
    »Hab ich ja. Aber die Post kam zurück. Deine Adresse war falsch. Du warst nicht mehr im ›Makarenko‹, und dann hab ich Roland gebeten, dass er mir deine neue Adresse schreibt, aber er hat nicht mehr geantwortet.«
    Siehste Jule, da kannst du mal sehen, was das für ‘n Arschloch ist.
    »Was hast ‘n mit deinem Gesicht gemacht? Prügelei?«
    »Mhm«, nicke ich. »Ein Nigger hat mich zusammengebombt. Gestern an der Tankstelle.«
    »Ach …« Sie wendet sich ab.
    Klar, jetzt ist sie wieder total angewidert. Weil’s ein Neger war. Bei einem Deutschen wäre es völlig wurscht, aber oh Gott! Es war ein armer Neger. Die darf man doch nicht hauen!
    »Du, das war ‘n Bulle«, erkläre ich ihr, »das ist jetzt völlig normal in Deutschland. Inzwischen dürfen hier sogar irgendwelche Neger Staatsmacht spielen.«
    »Der Mann war deutsch«, ruft Julia und stützt sich am Bauwagen ab.
    Na, umso besser, denke ich. Trotzdem ist ihr schon wieder schlecht. Gleich wird sie kotzen, weil ich einen Nigger verprügelt habe, ich fass es nicht.
    »Kann es sein, dass du ‘n kleinen Hau hast?«
    »Nee«, faucht Jule, »du hast einen Hau! Dein Rassenhass, deine Brutalität, das ist total krank!«
    »Schätzchen, der Neger war auch nicht sanft zu mir.«
    »Du bist so kalt«, stößt sie würgend hervor, »so unmenschlich …«, und erbricht sich.
    Nun mal langsam, Baby. »Ich bin weder kalt noch unmenschlich.« Ich gebe ihr ein Taschentuch, damit sie sich den Mund abwischen kann. »Jedenfalls nicht zu dir.«
    Jule richtet sich erschöpft wieder auf und sieht schwer atmend auf den See.
    »Da hast du mich mal rausgeholt«, sagt sie nach einer Weile, »weißt du noch? Als ich im Eis eingebrochen bin?«
    »Und das Wasser war arschkalt.«
    »Früher warst du wie ein Bruder zu mir. – Was ist los?«
    Keine Ahnung. Ich streiche ihr über das Haar. »Vielleicht wäre ich gern mehr gewesen.«
    »Wer hat angefangen?«
    »Angefangen?« Was will sie denn jetzt schon wieder? Angefangen womit?
    »Bei eurer Prügelei«, ruft sie herausfordernd. »Na? Wer hat da angefangen? Du oder der Schwarze?«
    Oh, bitte, denke ich genervt und mache mich von ihr los.
    »Natürlich hast du angefangen«, regt sie sich auf. »Warum eigentlich? Was hat dir der Mann getan? Was ist passiert, dass du so beschissen drauf

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