Gretchen
Sie kräuselte dezent die Stirn, legte ihren Kopf elegant in den Nacken und blickte leicht gelangweilt in die Ferne.
Fine wusste, dass ein längerer Monolog folgen würde, es folgte immer ein längerer Monolog, wenn sie diese staatstragende Haltung einnahm.
»Aha.«
Aha war weitaus weniger, als Fine erwartet hatte.
»Aha?«
»Nun ja, wärst du ein junges Ding«, begann sie in blumigem Tonfall, »würde ich dir raten, dreihundert Seiten lang über dein morbides Seelenkostüm zu schnattern und dich dann von sabbernden Kulturbeamten mit feuchtem Lobgesang penetrieren zu lassen. Aber du bist ja alt. Da kommt die Froileinliteratur leider nicht infrage. Hauptsache, du benutzt kein Pseudonym. Es gibt nichts Schlimmeres, als Schriftsteller mit einem Pseudonym. Ich habe zwei kennengelernt. Idioten. Beide. Wenn du allerdings Preise schick findest, solltest du dir einen osteuropäischen Namen nebst Akzent zulegen und einer unterdrückten, verfolgten Ethnie angehören, die nur Liebe und Frieden auf ihren Lippen und in ihren Herzen trägt. Werde zu Unrecht verleumdete Serbin und schreibe authentische Erlebnis-Literatur, also irgendetwas mit schwerer Kindheit und Alzheimer.«
»Ich dachte eher an die Tante Jolesch oder an Onkel Jeeves.«
»Liebchen, ich würde doch auch keinem Schweizer vorwerfen, er habe Humor. Warum also sollte ich dich beleidigen?«
»Wieso? Die Schweizer sagen zu Schweinskram Sex-Heftli. Ich persönlich finde das sehr lustig.«
»Humor ist eine sehr ernste Angelegenheit, deshalb verstehen lustige Menschen Humor ja auch nie.«
»Es ist immer wieder das gleiche Problem. Ich glaube einfach, dass wir zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen von Kunst haben.«
»Ach nein.«
»Doch, doch.«
»Wir werden jetzt kein Gespräch über Kunst führen«, sagte Gretchen Morgenthau und hielt das Thema für beendet, denn sie besaß grundsätzlich die Hoheitsgewalt über das zu Plaudernde und für ihren Geschmack wurde dem Trivialen zur Genüge Aufmerksamkeit geschenkt. Es war an der Zeit, sich den wichtigen Themen zu widmen, wie ihren neuen Mid Heels von Rupert Sanderson, zu denen Fine noch gar nichts gesagt hatte. Doch Fine schien gar nicht daran zu denken, klein beizugeben, sie war schließlich die Expertin, sie hatte Kunstgeschichte studiert, ihr Feld.
»Ja, ich weiß, du möchtest in der Kunst nicht, wie nennst du es doch gleich, bebotschaftet werden«, nahm Fine das Thema ungefragt wieder auf, »du möchtest nicht wissen, was der Künstler uns mitzuteilen gedenkt. Und ja, wenn um die Kunst herum Bedeutung gemästet wird, dann schmeckt die Kunst nach Wurst. Das verstehe ich. Aber: Du magst Berührung nicht. Und das halte ich für falsch. Kunst, die nicht berührt, ist nur Kunst. Ein intellektuelles Feigenblatt, über das sich gut schwatzen lässt. Alles, was uns berührt hat, als wir jung waren, all die Musik, Literatur, Malerei und Spielerei ist heute Kunst. Alles andere ist höchstens Geschichte, an die sich niemand freiwillig erinnert. Immer vorausgesetzt, wir hatten Geschmack.«
»Ich zweifle da weniger an meinem.«
»Du zweifelst am Impetus der Kunst.«
»Aber nein, höchstens an ihren Produzenten, und besonders an den bastelnden.«
»Du warst doch fast ein Jahr lang mit Joshua liiert, ein bildender Künstler, soweit ich mich erinnere.«
»Lose, lose liiert. Und gewiss nicht aufgrund seines Intellekts.«
»Sondern?«
»Sex? Wirklich außergewöhnlich. Ansonsten war er wie alle Klecksenden und Hämmernden und Installierenden. Der bildende Künstler ist selten intelligent, deshalb muss er seinen Werken auch immer geheimnisvolle Namen geben, damit wir denken könnten, er sei eine solch komplexe Gestalt, dass Intelligenz ihn nur beleidigen würde. Was sie natürlich auch tut. Frage ihn nach seinem Werk, so wird er sich nachdenklich, wirr, verstört zeigen, sich Restwörter aus der Müllverwertung für kulturelle Angelegenheiten zusammenklauben und sie mit einer leicht unangenehmen Fäulnis ausspucken.«
»Und damit verbringst du deine Zeit.«
»Du verstehst nicht. Das ist es, was ich an diesen Künstlern mag. Ihre Kindlichkeit, dieses naive Geplapper, der ethnologische Kitsch im gefühlsduseligen Analytikerduktus, das Sich-begeistern-Können für Kirmeszettel-Weisheiten, das ist doch wunderbar. Sie ähneln da im Übrigen Schauspielern, sie sind nur nicht ganz so schwurbelig.«
Am Nebentisch machte sich Dr. Maria von Freyenbach zum Aufbruch fein. Sie zog eine Tweedjacke von Oscar de la Renta
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