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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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nie, nicht ein einziges Mal, gab es Rosinen im Apfelkuchen.
    Warum auch?
    »Stimmt etwas nicht mit dem Kuchen, die Damen?«, fragte Jolanda, die Bedienung.
    »Rosinen.«
    »Bitte?«
    »Es sind Rosinen in dem Kuchen.«
    Immer, wenn Gretchen Morgenthau das Emilys beehrte, war Jolanda für ihren Tisch zuständig. Sie war eine der wenigen Bedienungen, die brauchbar parieren konnte und bei schwierigen Gästen nicht gleich die Beherrschung verlor, nur weil sie vielleicht wie Abfall behandelt wurde. Es war ihr siebtes Jahr im Emilys, es gab kein Benehmen, das ihr fremd war, kein Verhalten, das sie hätte überraschen können, sie war Profi durch und durch.
    »Ja, das ist neu. Eine Abwechslung. Bisher sind die Reaktionen unserer Kundschaft ausgesprochen positiv.«
    Ausgesprochen positiv. So, so.
    »Wie schön, junge Frau, wie schön. Würden Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?«
    »Es wäre mir eine Freude.«
    »Bestellen Sie doch bitte dem Geschäftsführer …«, sie hielt inne und betrachtete Jolanda von unten bis oben, »Sie haben eine frappierende Ähnlichkeit mit dieser russischen Tennisspielerin, wie heißt die noch mal?«
    »Anna Kurnikova?«, fragte Jolanda leicht irritiert.
    »Nein, die andere. Ach, jetzt fallt es mir wieder ein. Martina Navratilova war es. Ja, Martina Navratilova.«
    »Oh, diese Dame ist mir unbekannt, das ist wohl einige Generationen vor meiner Zeit. Vielleicht noch einen kleinen Magenbitter zum Kuchen?«
    Die unbotmäßige Replik der Bedienung quittierte Gretchen Morgenthau mit gähnendem Desinteresse, sie töteten sich noch kurz mit Blicken, bevor sich Jolanda mit der Grazie aller verfügbaren Hollywoodlegenden umdrehte und stolzen Schrittes von dannen zog. Fine setzte ihr Musste-das-jetzt-sein-Gesicht auf, nippte an ihrer Melange und lenkte die Aufmerksamkeit in frische Gefilde. »Schau mal unauffällig nach links. Da sitzt die Gottesanbeterin.«
    »Wer?«
    »Dr. Maria von Freyenbach. Die Kritikerin. Hochfeuilleton.«
    Die Dame im herbstlichen Alter trug eine grüne Bluse mit Plisseefalten von Van Laack, dazu einen hellgrauen Tulpenrock von Luisa Cerano und taupefarbene Ballerinas von Tod’s. Es sah fürchterlich aus. Wie alle Künstler verachtete auch Gretchen Morgenthau die berufsbedingten Kritiker abgrundtief. Wenn sie schlecht über sie schrieben. Wenn sie gut über sie schrieben, gehörten sie zur Familie.
    »Soll das eine Frisur sein? Und diese Schuhe. Sie sieht aus wie ein Sonderangebot. Sie konsumiert bestimmt diese Erbauungsliteratur, in der ihr gesagt wird, wie sie ihr inneres Gong oder Doing oder so finden kann.«
    »Ich weiß, du magst Konkurrenz nicht.«
    »Konkurrenz? Schau sie dir doch nur an. Das Schlimmste sind selbstverliebte Menschen, die irgendwann entdecken, in wen sie sich da verliebt haben. Das geht nie gut aus.«
    »Das kommt mir bekannt vor. Sie soll übrigens eine Teegarnitur von Kazumasa Yamashita besitzen. 25.000 Pfund.«
    »Und was macht sie damit?«
    »Tee trinken. Und sie hat letzten Monat Grass rezensiert. Vernichtend.«
    »Den SS-Mann?«
    »Den Schriftsteller. Ich möchte übrigens auch Schriftstellerin werden.«
    »Du?«
    »Ja, ich.«
    »Warum?«
    »Weil ich glaube, dass ich etwas zu erzählen habe.«
    »Ach du meine Güte.«
    »Sei nicht so.«
    »Wie denn?«
    »Du weißt schon. Ich meine es ernst, ich möchte Schriftstellerin werden. Ich brauche deinen Rat.«
    »Meinen? Ich habe mit der Schriftstellerei nichts zu tun. Mir sind ja schon Dramaturgen zuwider, aber Schriftsteller, herrje, ich musste einige von ihnen kennenlernen. Der überwiegende Teil dieser Spezies wurde zum Fremdschämen geboren. Ihr Gehabe ist klägliches Schauspiel, selbst das Prätentiöse und das Egomanische an ihnen ist langweilig. Sobald sie den Mund aufmachen, schläft man ein. Ich wusste gar nicht, dass du schreibst.«
    »Tue ich nicht, deshalb brauche ich ja deinen Rat, ich bin noch unsicher, in welche Richtung ich meine Begabung zu lenken gedenke.«
    Gretchen Morgenthau hasste es, wenn alte Menschen nur retrospektiv redeten, wenn ihr Leben nur noch aus Vergangenheit bestand, wenn das Gewesene ihre einzige Zuflucht war und die Erinnerung ihr warmes Bett. Mit Fine konnte sie immer über Gestern, Heute und Morgen reden. Und das schätzte sie sehr. Dass sie jetzt aber Schriftstellerin werden wollte, schätzte sie weniger. Sie piekte. Mit der Gabel. Sie zerdrückte die letzte Rosine aus dem Apfelkuchen, als wäre sie eine Zecke, als übertrage sie Krankheiten, das hässliche Ding.

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