Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
anders seine kleine, dünne Ehefrau.
Die, namens Ännchen, rief immer wieder «Allmächtiger!» und konnte kaum an sich halten vor Entsetzen, als sie erfuhr, die Susann werde seit dem Vormittag vermisst und von ihrer Brotherrin einer heimlichen Geburt verdächtigt. Sie kam sehr schnell mit der übrigens unter starken Vapeurs leidenden Königin überein, dass diese hier bei den Brands warten und sich pflegen lassen würde, während ihre Schwester Hechtelin sich noch anderweitig bei Bekannten und Verwandten umtun und nach der Susann forschen solle. Was die Hechtelin wortlos hinnahm.
Kaum war sie gegangen, hielt im Hause Brand das Ännchen die Königin zum Liegen an. Die Ursel ertrug in nervöser Unruhe und mit aufgeschnürten Kleidern die lästigen Ministrationen ihrer Schwägerin, wobei sie nochmals in allen Einzelheiten die fürchterliche Geschichte des gestrigen und heutigen Tages zum Besten geben musste. Allerdings ließ sie eine gewisse Zensur walten. Indem sie zum Beispiel behauptete, die Susann habe heut Morgen vor den Schwestern ihre Sünden weiterhin frech geleugnet. So konnte sie (die Königin) vorgeben, nichts sicher zu wissen, aber eben gemeinsam mit der Dienstherrin der Entlaufenen einen scharfen Verdacht zu hegen. Einen ganz scharfen!
Vom Reden wurde ihr nach und nach besser. Daher unterließ sie es auch nicht, am Ende der Geschichte kundzutun, dass ihrer Ansicht nach die Dienstherrin eigentlich vor Monaten schon Konsequenzen hätte ziehen müssen. Sie könne beim besten Willen nicht verstehen, dass die Bauerin sogar heut Morgen noch bereit gewesen war, sich das Mensch gleich wieder ins Haus zu holen nach allem! Dass dies ein Fehler gewesen sei, das müsse nun die Bauerin selbst einsehen, nachdem die Susann inzwischen ja auch noch getürmt war als Eingeständnis ihrer Schuld.
Die Brandin ergänzte, dass diese offensichtlich verlotterte, sittenlose Wirtin im wahrsten Sinne des Wortes mitverantwortlich sei an den Verbrechen der Susann. Ja, es wär doch gar nicht erst zu Hurerei in deren Haus gekommen, wenn die Alte die Zügel richtig straff gehalten hätte! Wenn man natürlich keine Aufsicht führte und dem Gesinde alles durchgehen ließ …
Die Königin konnte hier nur zustimmen und gleich in die Kindheit der Susann überleiten, als die ins Nesthäkchen vernarrte Mutter sowie die Dorette dem Mädchen bekanntlich auf unverantwortlichste Weise alles, aber auch alles erlaubt und verziehen hatten. Damit war ja der Grundstein gelegt worden für die heutigen fürchterlichen Ereignisse!
An diesem wohlgeschliffenen Punkt war man in den Überlegungen angelangt, als die Hechtelin graugesichtig gegen neun wieder erschien: Es habe alles nicht geholfen, niemand habe von der Susann gehört. Gleich nachdem sie das, noch in der Stubentür stehend, mitgeteilt hatte, schossen ihr Tränen in die Augen, was ihre Schwägerin mit den Worten kommentierte: «Lass, Dorettchen, um das Aas lohnt es sich nicht zu weinen.»
Die Hechtelin wischte sich mit dem Handrücken die Wangen ab und erklärte, sie könne nun nicht mehr. Den ganzen Tag sei sie umhergehetzt, sie gehe jetzt nach Hause. Falls sie die Susann wider Erwarten ausgerechnet dort antreffen sollte, werde sie nochmals zurückkommen, ansonsten aber nicht.
Darauf verschwand sie.
«Man müsste ja eigentlich der Bauerin noch Bescheid geben, dass wir sie nicht gefunden haben», bemerkte die Königin einen Augenblick später. Allerdings hatte sie ganz gewiss keine Lust, das selbst zu tun.
«Das lohnt nicht», befand die Schwägerin, die ihren Ton richtig deutete. «Die Bauerin wird sich doch ihren Teil denken, wenn sie nichts hört. Die wird auch zittern heut Abend. Meine Zeit, in deren Schuhen möcht ich nicht stecken, wenn’s zur Inquisition kommt in der Sach. Wahrscheinlich ist sie nur deshalb noch nicht auf die Wache gegangen. Dann käm ja raus, was bei ihr für Zustände herrschen.− Jetzt wird sie das Mensch aber endlich doch anzeigen müssen. Wo es geflohen ist. Da bleibt ihr ja keine Wahl.»
Die Königin hob zweifelnd die Brauen. «Wenn du mich fragst, ich trau der Bauerin zu, dass die das Anzeigen noch länger verschläft. Es ist gar nicht ausgemacht, dass die die Susann überhaupt anzeigen tut. Kann sein, sie hält still wie bisher und versucht, es zu vertuschen.»
«Allmächtiger! Da müssten ja wir fast überlegen, ob wir sie anzeigen!»
«Du lieber Gott. Also wirklich, in was für eine Lage das Mensch einen bringt. Das ahnt die nicht, was wir Schwestern
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