Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Hofgebäuden, eine Durchsuchung vornehmen, auf Befehl des Jüngeren Herrn Bürgermeisters, bei dem eine Anzeige gegen die hiesige Dienstmagd vorliege.
Die Bauerin musste sich, während der Sergeant in Begleitung einiger ihrer Leute auf den Hof schritt, einen Schnaps genehmigen, so schwach fühlte sie sich. Ihre allerschlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt, als der Sergeant das Betreten des Stalls für den Rest der Nacht untersagte und − nach seinem ersten Rapport beim Bürgermeister − später neuerlich und in Begleitung einer Krankenwärterin erschien, um das gefundene Kind zu holen. Bei dieser Gelegenheit teilte er ihr mit, sie müsse morgen in aller Frühe zum Verhör aufs Amt. Befehl des Jüngeren Herrn Bürgermeisters.
Sie war aber nicht die Einzige im Einhorn , die sich in dieser Nacht schlaflos wälzte. Auch dem Judenknecht Bonum ging es so. Der hielt sich einmal wieder nicht ganz legal hier auf, außerhalb der Judengasse, mitten in der Nacht. Und nun hatte der Sergeant ihn gesehen.
Dritter Teil
Inculpata
Beschuldigt
SAMSTAG, 3. AUGUST 1771, ACHT UHR MORGENS
DAS PEINLICHE VERHÖRAMT der kaiserlichen freien Reichsstadt Frankfurt am Main bestand aus genau drei juristisch gelehrten Amtspersonen. Und alle drei waren versammelt, als die Witwe Bauerin, Vorname Maria Margaretha, geb. Schuckin, von zwei Soldaten in die getäfelte Verhörstube geliefert wurde.
Nur nicht einschüchtern lassen von den dreien, denkt sich die Bauerin, obwohl ihr das Herz rast. Nur die Ruhe bewahren. Sie ist eine ehrbare Bürgerin und Gastwirtin, so schnell können die ihr nichts.
Links von ihr thront lässig der Leiter des Amtes, nämlich der Jüngere Herr Bürgermeister Dr. Siegner höchstselbst, in seinem Amtshabit nebst Kette und kratzt sich mit dem Zeigefinger unter der Perücke, während er noch in irgendeinem Papier herumliest. Rechts von ihr kerzengerade eine schlanke, lange Gestalt um die vierzig, an der ebenfalls von Fuß bis Kragen goldene Schnallen blitzen. Das ist der Examinator ordinarius Dr. Lindheimer – kein anderer als jener Cousin der Frau Rätin Goethe, mit dem der Herr Rat vor einigen Wochen schon wieder einen Streit hatte. Und zwischen beiden, weiter hinten, die Feder gezückt und als Einziger ohne lange Perücke, sitzt bleich und feingesichtig der Ratsschreiber Claudy, Lizenziat der Rechte (der anders als der Jüngere Herr Bürgermeister so korrekt ist, sich keinesfalls Doktor nennen zu lassen).
Siegner bedeutet dem Lindheimer, er möge beginnen.
Ob es wahr sei, so dieser in drohendem Ton, dass sie eine Magd namens Susanna Brandin in Diensten habe?
Die Bauerin weigert sich zu kuschen.
«Ei, das wissen die Herren doch, gelle −»
«Beantworte Sie bloß die Frage. Ihre Gedanken behalt Sie für sich.»
Was ist das für ein hochnäsiger Kerl, dieser Lindheimer. Wenn sie sich nicht so fürchten müsste, sie würde dem was husten.
«Ja», sagt sie etwas beleidigt.
Der Ratsschreiber Claudy räuspert sich und fragt schüchtern, ob sich dieses Ja der Verhörten auf die Zurechtweisung des Examinators oder auf die zuvor gestellte Frage beziehe? Nicht, dass er etwas Falsches ins Protokoll schreibe.
«Meine Herren, also bitte», greift ungeduldig Dr. Siegner ein. Was ist er auch gestraft mit dem herrischen Pedanten von Lindheimer und diesem nichtsnutzigen Mäuschen von Claudy. «So dauert das ja Stunden. Wir haben noch andere eilige Amtsgeschäfte heute. Also, Frau Bauerin: Hat Sie eine solche Magd, und wird diese der heimlichen Geburt verdächtigt? Fackel Sie nicht lang, erzähl Sie uns gleich alles, was Sie zu erzählen hat.»
Die Bauerin atmet kurz auf. Das hat sie sich ja heut Nacht zurechtgelegt, was sie erzählen will und muss, um gut dazustehen in der Sach. Und gut dastehen, das tut sie ja eigentlich auch: Wie sie beim allerersten Verdacht schon sich gekümmert und nachgeforscht hat, erzählt sie, wie sie sogar gleich zwei renommierte Ärzte konsultiert und von beiden die Auskunft erhalten habe, das Mädchen sei nicht schwanger, sondern krank, und sie also nicht im Geringsten ahnen konnte, was passieren würde. Und weiter, wie sie der Susann am ersten August großmütig erlaubt habe, zu ihren Schwestern zu gehen und sich dort zu pflegen, auf dass das arme kranke Ding bis zur Messe wieder gesund würde − all das berichtet sie den Herren. Eine fürsorglichere und sorgfältigere Dienstherrin konnte man sich ja kaum denken, gelle! Was wollte man ihr denn da anhängen?
An einer Stelle,
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