Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
auszustehen haben wegen ihr. Was für Gewissensnöte. Und nun stell dir vor, die Bauerin zeigt sie an, was sie ja wahrscheinlich doch noch tun wird, oder vielleicht tut sie’s jetzt gerade, und dann sagt sie aus, die Schwestern hätten Bescheid gewusst. Ja, wenn ich so nachdenke, die Bauerin hat immer versucht, uns den Ärger mit der Susann aufzuhalsen. Wir sollten sie befragen, ob sie schwanger ist, wir sollten sie untersuchen. Und dann sagt die Bauerin am Ende, wir wären schuld, wir hätten es ihr sagen müssen beizeiten, dass das Aas ein Kind bekommt! Wie stehen wir denn jetzt da, die Dorette und ich!»
«Allmächtiger. Wenn du meinen Rat willst, Ursel: Am besten, ihr kommt der Bauerin zuvor und zeigt die Susann selber an. Dann kann euch hinterher keiner einen Vorwurf machen.»
Der Königin wurde allmählich heiß. Die Schwägerin ahnte ja nicht, wie sehr sie inzwischen Mitwisserinnen waren, sie und die Dorette. Sie hätte ihrem ersten Impuls folgen sollen heut früh und gleich nach dem Geständnis der Susann zur Wache laufen. «Oje, Ännchen, ich fürcht, dafür ist es fast schon zu spät. Und die Dorette, ich schwör’s dir, die macht da nicht mit. Die Susann ist doch der Dorette ihr Liebling. Der wird noch die schlimmste Sünde verziehen.»
«Die Dorette muss doch gar nicht dabei sein. Wir könnten doch jetzt schnell gehen.»
Der Königin wurde erst recht mulmig. Sie war sich ja keineswegs sicher, ob sie wirklich ernst machen wollte mit der Anzeige. Du lieber Gott. Das konnte doch nicht wahr sein, in was für einer Lage sie heut Abend steckte. «Ich weiß nicht», sagte sie. «So spät auf die Wache in so einer heiklen Sach …»
«Weißt du was? Wie wär’s, wir gehen zum Vetter Elias und sagen’s dem! Der ist doch Ordonnanz vom Jüngeren Bürgermeister. Der wird dann schon wissen, was zu tun ist.»
Dieser ausgezeichnete Vorschlag erleichterte die Königin sehr. Natürlich, der Vetter Elias! Der würde Rat wissen. Dem könnte sie die Entscheidung zuschieben. Warum war sie da nicht selbst drauf gekommen.
Ruck, zuck waren ihre gelösten Kleider wieder zugeschnürt und die beiden Schwägerinnen sehr wichtig und geschäftig unterwegs.
Nachdem man einmal eingetroffen war beim Vetter Elias, diesen aus seinem gerechten ersten Nachtschlaf geweckt und die Vorgänge der letzten Tage so mehr oder weniger faktengetreu erzählt hatte, jedenfalls inklusive der Blutspuren in sowohl Waschküche als auch Holzstall, da bestand, wie sich herausstellte, weder für die Ursel Königin noch für die nunmehr von einer schweren Straftat unterrichtete Ordonnanz des für Kapitaldelikte zuständigen Jüngeren Herrn Bürgermeisters mehr die Möglichkeit, die Uhr zurückzudrehen und die Sache auf sich und dem Ermessen der Bauerin beruhen zu lassen. Lediglich Ännchen Brand, die nun doch über die eigene Courage sehr erschrocken war, durfte gleich wieder nach Haus gehen. (Allmächtiger! Hoffentlich würde gleich der Niklaus nicht schimpfen mit ihr, der seelenruhig und ahnungslos in seinem Bette schlief.) Als sich die Ursel in aufkommender Panik der Schwägerin anschließen wollte mit den Worten, der Elias könne doch ebenso gut alleine dem Jüngeren Bürgermeister Anzeige erstatten, wozu müsse denn eigentlich sie mit hin – da bestand die Ordonnanz Brand ganz korrekt darauf, dass der Jüngere Herr Bürgermeister die Fakten unbedingt aus erster und nicht zweiter Hand hören müsse, und er, der Elias, werde schief angeguckt werden vom Siegner, wenn er sie jetzt nach Hause gehen lasse.
Immerhin war der Ursel auf diese Weise einmal im Leben ein großer Auftritt beim Bürgermeister vergönnt.
Später aber hatte sie einen äußerst unangenehmen Gang zu erledigen: Nämlich zur Dorette, mitten in der Nacht, und ihr sagen, was Sache war. Wobei sie es so darstellte, als sei es keine, aber wirklich gar keine Frage, dass sie das Richtige getan hatte. Als habe sie fest damit gerechnet, dass die Dorette, wäre sie nicht zu müde gewesen, selbst mitgegangen wäre zum Jüngeren Bürgermeister, ihre Schwester anzuzeigen.
Eine unangenehme Überraschung erlebte in dieser Nacht neben der Hechtelin auch die Wirtin vom Gasthaus Zum Einhorn . Indem nämlich völlig unerwartet zu später Stunde ein ihr bislang persönlich nicht bekannter Sergeant eintraf, sich als Ordonnanz des Jüngeren Bürgermeisters vorstellte (war das nicht gar der Vetter von den Brand-Schwestern?) und ankündigte, er müsse hier im Haus, und insbesondere in den
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