Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
zugegebenermaßen, da kommt sie ins Schwimmen. Nämlich als es darum geht, wie sich die Susann am Donnerstagabend bei ihr im Haus versteckt hatte, statt zu den Schwestern zu gehen. Kaum hat sie das erzählt, spürt sie: Das will irgendwie nicht passen zu ihrer Geschichte vom gnädig gewährten Erholungsurlaub. Eine Geschichte natürlich, in der gänzlich unerwähnt blieb, dass die Susann, bevor sie fortgehen sollte, von einer wiedergekommenen Ordinaire gesprochen und über Leibreißen geklagt hatte. Himmel, wie schafft sie es denn jetzt − ah ja. Da ist sie, die Eingebung, wie sie das Rührstück von der fürsorglichen, aber ahnungslosen Dienstherrin weiterspinnen kann: Als man die Magd endlich wiedergefunden habe am Donnerstagabend, da hätte die behauptet: Der Kopf tue ihr so weh, und sie sei deshalb noch den Abend über im Haus geblieben. Bitte.
Nun der gestrige Tag. Da wird der Bauerin richtig heiß, da fehlen ihr die Ausreden. Sie hätte die Susann unverzüglich anzeigen müssen natürlich, nachdem sie im Stall Blut gesehen hatte, von der Waschküche ganz zu schweigen, aber sie hat es nicht getan, bis spät in die Nacht nicht, und wer nun eigentlich die Susann angezeigt hat, das ist ihr leider noch immer ein großes Rätsel. Sie fürchtet, einer oder eine von ihren Leuten. Der Bonum vielleicht, der sich als Jude gutstellen will mit den Behörden. Da darf sie also nicht so plump lügen.
Vorsichtig verschiebt sie ihre Entdeckung im Stall ein Stündchen nach hinten, und die Ankunft der von ihr zu den Blutlachen befragten Hechtelin gleich nochmal zwei Stunden, und die Nachgeburt in der Waschküche lässt sie weg. Das weiß doch niemand außer ihr und den Schwestern, gelle! Das muss auch niemand je erfahren. Und am Abend, als die Susann dann flüchtig war, da erst sei man drauf gekommen, sie könnte heimlich geboren haben. Sie, die Bauerin, habe den Schwestern nicht gestattet, bei ihr nach dem Kind zu suchen, vielmehr habe sie ihnen mitgeteilt, dass dies alles nunmehr zur Anzeige gebracht und amtlich untersucht gehöre. (Alles nicht gelogen! So war es doch auch!)
Der Lindheimer blickt verächtlich drein. Die Bauerin wartet, dass man ihre Version zerpflückt. Dass man sie zumindest fragt, warum sie die Anzeige nicht selbst vorgenommen habe.
Stattdessen teilt ihr aber der Siegner jovial mit, dass sie hiermit entlassen sei.
Das war es schon! Dem Himmel sei Dank.
SAMSTAG, 3. AUGUST, ZUR GLEICHEN ZEIT
IM GASTHAUS Zum Hirschchen in Mainz sitzt die Susann auf ihrer Bettkante, müde auf den Tod.
Sie hatte eine schlimme Nacht und fragt sich, ob sie wohl je wieder Ruhe finden wird. Ob es je wieder still werden kann in ihrem Kopf. Ach, wenn sie doch irgendwann einmal für eine oder eine halbe Stunde wenigstens nicht von Angst und Sorge verfolgt würde. Und von den Bildern. Denen von vorgestern Abend. Jesus, die Bilder.
Aber so ist das wohl, wenn man ein Verbrechen begangen hat. Das lässt einen nicht mehr los.
Wie hatte sie nur glauben können, sie könnte einfach weglaufen aus ihrem Leben. Vor den Soldaten, die hinter ihr her sind und sie vielleicht selbst hier noch finden, vor den Schwestern, die alles sind, was sie hat, vor ihrem Kind. Jetzt sitzt sie hier in Mainz und denkt an nichts anderes. Vielleicht war es sowieso ganz überflüssig gewesen zu fliehen. Vielleicht haben sie die Schwestern ja gar nicht angezeigt.− Jesus, was würden die sich jetzt sorgen. Die Dorette vor allem, die Ärmste. Aber sogar nach einer keifenden Ursel hat die Susann Sehnsucht. Alles besser, als hier so schrecklich allein zu sein mit sich und den Gedanken und dem schweren, schweren Herzen und mit dieser unendlichen Müdigkeit.
Wenn sie wenigstens Geld hätte. Sie spürt die Kraft nicht in sich, heute von Tür zu Tür zu laufen und nach einem Dienst zu fragen. (Immer in der Angst, dass ihre Beschreibung schon kursiert.) Außerdem ist doch gar nicht damit zu rechnen, dass sie was kriegt, wo sie heut oder morgen schon anfangen kann. Und das müsste sie doch. Denn ihre paar Kreuzer, die reichen allerhöchstens noch für eine Nacht im Hirschchen .
Oder natürlich für eine Fahrt mit dem Marktschiff.
Ob sie einfach zurückfahren soll nach Frankfurt, nach Hause?
SAMSTAG, 3. AUGUST, HALB NEUN MORGENS
UNTERDESSEN WAR die Bauerin vom Römer aus geradewegs in die untere Predigergasse gelaufen, zur Hechtelin.
Die, grau im Gesicht, dunkelviolette Ringe um die Augen, begrüßte die hereinkommende Wirtin mit einem feindseligen Blick.
Also
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