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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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drei Leiern nicht fehlen.
    Nur, dass man dann keineswegs, wie der Vater glaubte, über die Juristerei sprach.
    Es waren in Wahrheit ganz andere Themen, die verhandelt wurden, wenn die Geschwister Goethe und die Gebrüder Schlosser gemeinsam lange Abende dahinbrachten. Da gab es ja andere Gemeinsamkeiten als die Juristerei: Hieronymus las, Georg las und schrieb (er hatte sogar schon etwas publiziert, allerdings ein nach Wolfgangs Ansicht eher bescheidenes Werk für die Volksbildung), Cornelie las und hätte gern geschrieben, und Wolfgang las, schrieb und hatte einen Plan, was er demnächst schreiben würde. Und zwar etwas Revolutionäres, Unerhörtes.
    Von alledem war in dem kleinen Kreis ständig die Rede.
    Auch an dem Tag, als der Herr Dr.   Metz erwartet wurde wegen der Kopfschmerzen Cornelies. Die hatte sie gestern gehabt, heftig, und graue Ringe dabei vor den Augen gesehen, was ihr Angst gemacht hatte. Aber heute war der Spuk glücklicherweise vorüber, und der Metz kam, als er kam, höchst ungelegen.
    Man war gerade wieder mittendrin. Besonders Wolfgang, der feurigst dabei war, seinen derzeit größten Helden zu verteidigen: Shakespeare. Georg hatte es gewagt, in seiner harten Art zu äußern, der Macbeth sei zwar wunderbar, ein echtes Juwel, aber ansonsten seien sich die Shakespeare’schen Dramen immer gleich: Immer gehe es um Könige, immer gebe es einen Edlen und einen Schuft, und −
    Weiter kam er nicht. Längst war Wolfgang ihm über den Mund gefahren, der mit leuchtenden Augen und Wangen sein Publikum aufklärte: Schufte und Edle, Gut und Böse gebe es eben in der Welt so notwendig, wie glühendheiß und eiskalt existieren müssten, da erst durch ihre Mischung die mittlere, angenehme Temperatur entstehe. Lehrreich aber seien doch gerade die Extreme. Und die Könige bei Shakespeare, die seien eigentlich keine, sondern stünden für jeden von uns, denn für jeden von uns sei ja das eigene Ich König, und wie könne man nur ausgerechnet dem abwechslungsreichen, knackig unterhaltsamen Shakespeare Einförmigkeit der Handlungen vorwerfen, da kenne er aber ganz anderes, diese gekünstelten pseudogriechischen Dramen der Franzosen, wo alles am gleichen Ort und zur gleichen Zeit spiele und immer im vierten Akt die gleiche und von allen schon erwartete Entwicklung ihren Lauf nehme, und übrigens werde ja sein geplantes Drama über den Dr.   Faustus, wiewohl im ungekünstelten Stil Shakespeares, nicht von Königen handeln.
    «Wolfgang», meldet sich da leise Cornelie, «jetzt, wo du vom Faustus sprichst. Ich hab nachgedacht über die Geschichte gestern Nacht. Und da ist mir aufgefallen, für ein volkstümliches Puppenspiel, wie du’s in Straßburg wieder gesehen hast, mag sie sehr nett sein. Aber ich fürchte, für ein Drama eignet sich der Stoff nicht besonders.»
    Wolfgang wurde starr im Gesicht und etwas rot. Wäre das von einem der Schlossers gekommen, er hätte ungerührt drauflosgeredet und seinen geplanten «Faust» verteidigt. Aber von Cornelie? Von seiner Seelenschwester? Das war ernst zu nehmen. Bei aller seiner Lust an Gesellschaft und Publikum, er wünschte, er wäre jetzt allein mit ihr.
    War er aber nicht. Und ausgerechnet jetzt kam auch noch der gestern bestellte Doktor Metz hereingelaufen, alles andere als schüchtern, überfiel Cornelie mit einem Handkuss und schwäbelte theatralisch: «Was muss ich da hören, Mademoiselle! Sie hätten Ringe gesehen! Doch ich stelle freudig fest, Sie sind heut schon wieder wohlauf und in Gesellschaft! Und auch der werte Herr Bruder mit dabei − seien Sie mir gegrüßt, junger Mann, nach so langer Abwesenheit − man muss nun Herr Doktor sagen, höre ich. Herzlichen Glückwunsch auch zum Examen.»
    Und so weiter. Der Metz hatte natürlich keine Ahnung davon, dass sich erstens Wolfgang in den letzten Jahren vom Pietismus völlig abgekehrt hatte und dass zweitens sein Kommen gerade mächtig störte. Er gab sich ganz als der Hausfreund, ließ sich den Schlossers vorstellen, nahm einen Stuhl und lehnte sich, nachdem er der genesenen Patientin gute Ratschläge und ein Rezept für künftige solcher Vorfälle ausgestellt hatte, gemütlich zurück. So, als habe er keineswegs vor, bald zu gehen.
    Und das hatte er auch nicht. Jedenfalls nicht, bevor er nicht eine wohlüberlegte Geschichte hier losgeworden wäre. Auf dass er später vielleicht Zeugen hätte, die bestätigen könnten, dass er nicht verbrecherisch, sondern aus den lautersten medizinischen Absichten heraus

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