Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
althergebrachten dumpfen Trott bewegenden Handelsleuten. Der Vorteil war, dass sein eigenes geistiges Licht in der hiesigen Dunkelheit umso heller strahlte.
Wolfgang hatte Ende August, ein paar Tage nach seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, seine Zulassung als Anwalt erhalten, vom derzeitigen Älteren Herrn Bürgermeister und guten Bekannten Olenschlager direkt in die Hand. Und natürlich hatte ihm der Vater die zu Amt und Anlass passenden goldenen Schnallen für Schuhe, Kragen und Kniehosen samt Spitzenhemd spendiert und dafür glatte 270 Gulden springen lassen.
Es war in erster Linie der Vater, den die Zulassung wie auch die goldenen Schnallen glücklich machten. Der Herr Rat − selbst bekanntlich Jurist − brachte auch wesentlich mehr Zeit als Wolfgang über dessen Akten zu. Wolfgang hatte nämlich schon Klienten, jawohl! Ein Fall war ihm vom Onkel Lindheimer zugeschanzt worden. Und einen anderen hatte der Schreiber Liepholt mit seinen Beziehungen aufgegabelt.
Der Liepholt, ein alter Hase in der Frankfurter Juristerei, war eigentlich der Schreiber der Anwälte und Doktores Schlosser. Mit ihnen wurde derzeit der lebhafteste Kontakt gepflegt.
Erst neuerdings verstand sich Wolfgang so gut mit den Schlosser-Brüdern. Früher war ihm der jüngere der beiden, Georg, zehn Jahre älter als er selbst, sogar unangenehm gewesen. Wegen seines trockenen, ungefälligen Charakters zum einen, weil er ihm vom Vater immer als leuchtendes Vorbild vorgehalten worden war zum anderen. Georg war nämlich, zugegebenermaßen, ebenso begabt wie Wolfgang in diversen Künsten, doch ernsthafter und gewissenhafter. Und ihm − bei dem Altersunterschied kein Wunder! − in der Berufslaufbahn immer mehrere Schritte voraus. Als Wolfgang nach dem Studienabbruch in Leipzig daheim seine Krankheiten auskurierte, da hatte er sich ständig vom Vater die Mär anhören müssen, dass der Georg dank seines straff durchgezogenen Studiums schon Doktor sei und in Treptow an der Rega in den ruhmreichen Diensten des herzoglichen Erben von Württemberg stehe, am Beginn einer glänzenden Karriere.
Glücklicherweise war Wolfgang nun selbst Doktor (der Vater nannte ihn jedenfalls so). Und dem Georg Schlosser, dem hatten die Württemberger Dienste auf Dauer doch nicht geschmeckt. Man stelle sich vor: Der glorreiche, hochbegabte, strebsame Georg war wieder daheim bei den Eltern gelandet und jetzt genau wie Wolfgang schlicht Advokat. Und zwar, so wurde gemunkelt, nicht einmal besonders erfolgreich. Nur der ältere Schlosser-Bruder Hieronymus, der hatte sich schon als Anwalt einen Namen gemacht. Er war auch für die Nachfolge seines Vaters im Rat bestimmt und bekam seit Jahren städtische Ämter zugeschanzt. Ja jüngst hatte er gar den ehrenhaften Auftrag erhalten, gegen den notorischen Erasmus Senckenberg für die Stadt die Anklage zu vertreten.
Georg dagegen – der verdiente derzeit wahrscheinlich nicht einmal genug, um standesgemäß eine Familie zu ernähren. Jedenfalls war er noch nicht verheiratet.
Das Letztere wiederum fiel Cornelie sehr positiv an Georg Schlosser auf. Ihr war es ganz recht, dass er nun öfter vorbeikam (hatte sie’s nicht gewusst, dass ihr Bruder Mannspersonen ins Haus bringen würde!). Der jüngere Schlosser stand ohnehin auf ihrer heimlichen Liste, als ein nicht unbedingt idealer, aber doch bedenkenswerter Kandidat zum Heiraten. Und was ihr außer seinem derzeitigen Junggesellenstand gefiel an ihm, das war − na ja, sein Gesicht leider nicht (zu rund und zu grob, fand sie), aber seine als genialisch geltende Begabung sehr wohl, sowie merkwürdigerweise auch seine ernsthafte, gelegentlich ins Schroffe abgleitende gesellschaftliche Ungelenkheit, die sie auf Schüchternheit zurückführte und in der sie sich wiederzufinden glaubte. Und die schwarzen Haare und Augenbrauen, die waren auch nicht schlecht, eigentlich.
Der Herr Rat hatte die Schlosser-Brüder ausgerechnet für den Tag von Wolfgangs Advokatenzulassung zum Essen geladen. Nicht ganz zufällig.
«Nehmen Sie mir den jungen Doktor mal in die anwaltliche Lehre», teilte er den Brüdern Schlosser scheinbar beiläufig mit, während er sein geliebtes helles Bockenheimer Brot in die grüne Sauce tunkte. (Wolfgang wand sich vor Peinlichkeit.) Die Schlosser-Brüder hatten sich, was das In-die-Lehre-Nehmen betraf, guten Willens gezeigt. Sie liehen Wolfgang seitdem regelmäßig ihren Schreiber Liepholt aus. Und vor allem ließen sie es an künftigen eigenen Besuchen im Haus Zu den
Weitere Kostenlose Bücher