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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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nur noch in sich hinein. Mein Gott, was für eine Figur für eine Tragödie. Wie kann er das nur je in Worte fassen, was er spürt in dem Mädchen. Nur gut, dass er sich erst den Götz vorgenommen hat. Das Kindermörderinnenstück würde sich nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln lassen.
    «Wolf?» Cornelie zupft ihn am Ärmel. Er schreckt auf. Die Mörderin ist längst drin im Amt, es ist Zeit zu gehen.
    Und während Cornelie auf dem Nachhauseweg ihrem Bruder so etwas wie ein Geständnis macht, darüber, dass sie die Person schon einmal gesehen hat vor der Tat und dies und jenes dabei gedacht hat, und dass Stockums und de Barys die Familie ganz gut kennen, und dass sie sich nun manchmal fragt, was man hätte tun können, beziehungsweise ob man etwas hätte tun können, um das Unglück zu verhindern, denn es war ja so absehbar gewesen − währenddessen sitzt die Person, von der sie spricht, im Peinlichen Verhöramt sehr allein den Herren Untersuchungsbeamten gegenüber. (Von denen ist heute einer der letztjährige Jüngere Bürgermeister Ruppel, der den sozusagen aus Protest gegen das Zusatzverhör erkrankten Siegner vertritt.)
    Die Herren glauben der Susann ihren teilweisen Widerruf von vornherein nicht. Sie planen diesen Widerruf also weniger zu Protokoll zu nehmen heut (was der offizielle Anlass der Sitzung ist), als dass sie vorhaben, ihn verhörmäßig zu zerpflücken, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Zu Beginn gleich geben sie der Angeklagten daher strengstens zu verstehen: Sie könne unmöglich das ihr aus Christenliebe vom Rat nunmehr genehmigte reformierte Heilige Abendmahl empfangen, solange eine solche Lüge im Raum und ihrem Herzen stehe.
    Doch ganz erreichen sie ihr Ziel nicht. Wiewohl es gut anfängt für die Herren Untersuchungsbeamten.
    Denn mit den Schlägen gegen die Wand im Stall, vom Anwalt als nicht geschehen vermerkt, hält sich die Susann gar nicht erst auf, das wird schon so sein, dass sie es getan hat, das widerruft sie nicht.
    Aber die Schere, dass sie ihr Kind gestochen haben soll damit, das will sie eben nicht stehen lassen, das widerruft sie sehr wohl und bleibt stur dabei. Sie leugnet jetzt sogar wieder, dass sie die Nabelschnur abgeschnitten hat, ganz im Sinne ihres Anwalts, denn sie hat das Gefühl, dass man allein schon das Abschneiden der Nabelschnur als Beweis auslegen würde, sie habe die Schere, einmal in der Hand, auch noch für andres benutzt. Und nein, es habe ihr auch niemand eingeflüstert, dass sie das sagen solle, zumal ja die Schwestern gar nicht zu ihr gelassen würden und sie übrigens auch gar niemanden zu sehen verlange auf der Welt außer dem Pfarrer Willemer. In der Hinsicht hat sie eine Bitte: Sie wäre sehr froh, wenn der Herr Pfarrer Willemer sie künftig bitte häufiger besuchen käme.
    Ansonsten habe sie rein gar nichts mehr anzufügen.

27. NOVEMBER 1771
    DIES IST der Morgen, an dem Dr.   Schaaf, Advocatus ordinarius, seine Verteidigungsschrift für die Kindermörderin einreicht beim Rat. Eine genialische, findet er.
    Zugleich, im Katharinenturm, geht es der Susann gerade um eine andere Anklage als die des Rates, um eine andere Strafe als die irdischer Instanzen.
    Der Pfarrer Willemer hat hart gearbeitet mit ihr und an ihrer Seele in den letzten Wochen, und sie fühlt sich tatsächlich ein wenig geläutert. Zumal ihr der Herr Pfarrer ausdrücklich erklärt hat, dass sie nichts zu fürchten habe nach all der Reue und Buße und der Herr Jesus sie trotz ihrer Sünden in den Himmel aufnehmen werde. Dort warte auch ihr Kindlein auf sie, das sie nämlich keineswegs der ewigen Seligkeit beraubt habe, indem sie es ohne Taufe habe sterben lassen, weil, meint der Pfarrer Willemer, solche Kinder aufgrund der göttlichen Gnade umso gewisser zu Engeln würden.
    Auch der Pfarrer Hilgenbach war bei ihr gewesen, ihr eigener alter reformierter Pfarrer Hilgenbach, der sie seit der Kindheit kennt und sie in der Konfirmation hatte; er hat streng gebetet mit ihr um Vergebung und hat ihr dann das Heilige Abendmahl gereicht.
    Also sollte sie eigentlich vorbereitet sein. Aber das ist sie nicht. Und heut Morgen endlich, da verrät sie dem Pfarrer Willemer, was sie noch immer umtreibt, was sie keine Ruhe finden lässt trotz all dem geistlichen Beistand. Nämlich die Frage, wie um Gottes willen sie ihrem armen Kind gegenübertreten soll im Himmel, sie, seine Mörderin.
    Der Pfarrer Willemer schluckt. Und dann improvisiert er, und er findet sich so überzeugend und

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