Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
habe ihre Ordinaire wegen eines Zorns verloren, und nun würde sich das verstopfte Blut bei ihr im Leib sammeln und ihr Beschwerden verursachen. Sie, die Bauerin, mache sich neuerdings aber Gedanken, ob die Magd nicht schwanger sei, die Leute redeten auch schon wegen des angeschwollenen Leibs. Allerdings beteure das Mädchen standhaft seine Unschuld und sei sonst eine gute und ehrliche Seele. Ob denn der Herr Doktor Metz es für möglich halte, dass tatsächlich ein dicker Bauch von dem angesammelten Blut der ausgebliebenen monatlichen Reinigung herrühren könne, oder ob sie ihre Magd nicht doch für schwanger halten müsse?
Der Doktor Metz räuspert sich und müht sich, wissend zu blicken. Wenn sie nur eine allgemeine medizinische Auskunft haben wolle, so bescheidet er die Bauerin, dann müsse er sagen, es sei in der Tat möglich, dass das Mädchen die Wahrheit spreche und ihr das verstockte Blut den Leib auftreibe. Andererseits müsse man bei solchen Umständen immer auch an Schwangerschaft denken, und er wolle, ohne die Patientin gesehen und genauestens examiniert zu haben, hier kein Urteil sich erlauben.
Die Bauerin sagt einen Augenblick nichts. Erstens ist sie abgelenkt, weil sie durchs Fenster wahrnimmt, wie eben die Herren jüdischen Bestatter die Leiche über den Hof jonglieren, zweitens ist sie im Prinzip nach der Auskunft vom Doktor Metz so klug wie zuvor. Soll sie etwa jetzt die Susann aus der Küche holen? Ohne sie vorbereitet zu haben?
Um Zeit zu schinden, handelt sie erst einmal ihre eigenen Beschwerden ab, indem sie dem Doktor Metz berichtet, sie wisse nicht, wie ihr geschehe, sie leide so oft an Schwindel in letzter Zeit, da wache sie zum Beispiel nachts auf und das ganze Bett drehe sich um sie her, dass ihr ganz anders werde. Der Doktor Metz schreibt ihr ein Rezept für ein stärkendes Tonikum und für einen Aderlass, damit sich das überschüssige Blut im Liegen nicht so im Hirn sammelt. Und während er schreibt, fällt der Bauerin ein, dass sie ja vor drei Tagen, als sie schon mit dem Arztbesuch rechnete, heimlich Urin von der Susann aus deren Nachttopf geschöpft hatte, mit ihrer eigenen Urinflasche, die sich noch immer gefüllt im Schrank in der Stube befinden muss.
«Wissen Sie was, Herr Doktor», sagt sie sichtlich erfreut, «ich hab etwas für Sie! Da werden Sie vielleicht doch noch etwas Genaueres sagen können!» Schnaufend erhebt sie sich und stapft in den Nebenraum, aus dem sie wenig später mit einer Urinflasche zurückkehrt. Wie die Antwort auf alle Gebete der Christenheit, hält sie dem Doktor strahlend die Flasche entgegen.
Solche Momente liebt der Doktor Metz nicht, wiewohl er sich gerade hier immer wieder genialisch bewährt. Insgeheim findet er, dass der Laie bei weitem die Möglichkeiten der Urindiagnose überschätzt – wobei er natürlich der Letzte wäre, der dem Laien das mitteilen würde. Hell oder dunkel, trüb oder klar, süß, sauer oder alkalisch, blutig, eitrig oder nicht, das sind freilich wertvolle Indikatoren für den studierten Physicus, aus denen sich sehr vieles und oft alles ablesen lässt. Aber Wahrsagen lässt sich aus Urin, zumal aus unauffälligem, nun wirklich nicht. Genau das aber scheint die Bauerin zu erwarten. Der Doktor Metz schließt, dass es sich höchstwahrscheinlich um den Urin der im Zweifelsfall schwangeren Magd, und wenn nicht, dann doch wohl um den der Bauerin selbst handelt. Er verkündet also nach einiger Betrachtung, aufs Schmecken verzichtet er: Der Urin sehe ihm nicht mehr ganz frisch aus (obwohl er das eigentlich mehr gerochen als gesehen hat). Was die Diagnose erschwere. Aber seiner Ansicht nach stamme dieser Harn nicht von einem ledigen Weibsbild.
Die Bauerin verfärbt sich etwas rötlich vom Hals her und gesteht bestürzt, dass der Urin tatsächlich von der Magd stamme, die ihr schwanger zu sein scheine. «Soso», sagt der Doktor Metz. «Das Beste wird sein, wenn Sie das junge Ding morgen Nachmittag einmal zu mir ins Haus schicken. Da kann ich es in Ruhe und in aller Strenge examinieren, und dann will ich der Sache schon auf den Grund kommen.»
Der Frau Bauerin wird nun erst richtig heiß. Der Doktor Metz sagt das ja so, als sei die Sache schon klar. Und jetzt, wo es an dem ist, dass sie morgen wohl die ärztliche Auskunft bekommen wird, die Susann sei zweifellos schwanger, und endlich aus ihrer Unsicherheit befreit wird − da merkt sie, wie viel lieber sie es hätte, wenn dem nicht so wäre.
Sie seufzt, hängt ihr Doppelkinn
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