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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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über den Kragen (gegen die Mode geht sie hochgeschlossen) und fischt nach ihrer Geldbörse. Denn der Doktor Metz muss natürlich für seine Dienste bezahlt werden. Und für die morgen anstehende Untersuchung der Susann entlohnt sie ihn schon im Voraus.

AM FOLGENDEN TAG
    FRANKFURTS JUDENHEIT war die größte und stolzeste irgendeiner deutschen Stadt. Kaum ein durch Frankfurt kommender Reisender von Rang und halbwegs flüssig laufender Feder hatte es in den letzten Jahrzehnten versäumt, ihren Wohnort, die Judengasse, zu beschreiben, weshalb diese bei Fremden als eine große Attraktion galt.
    Der touristische Ruhm der Judengasse beruhte hauptsächlich darauf, dass es hier so gruselig zuging. Das fanden die Frankfurter Juden auch. Sie fanden es zum Beispiel sehr lästig, sich bei jedem Schritt in ihrem Quartier durch einen Pulk von schäbige Waren anpreisenden Trödlern schieben zu müssen. Es sei denn natürlich, man ging direkt in der Gosse, die meistens frei war, jedenfalls von Verkaufsständen, und auch dann bekam man noch ständig von rechts einen alten Strumpf und von links einen grünspanigen Kupferpokal vor die Nase gehalten. Dabei hatten nicht einmal die Trödler selbst die rechte Freude an ihrem Metier, weil ihnen, wann immer irgendwo in oder bei Frankfurt auch nur das Geringste gestohlen wurde, sofort das Peinliche Verhöramt auf der Suche nach Hehlerware auf den Füßen stand. Das führte dazu, dass die jüdischen Trödler und Pfandleiher sich vor Hehlerware hüteten wie kein Gewerbetreibender sonst in Frankfurt und trotzdem von allen den schlechtesten Ruf besaßen.
    Die Bewohner der Judengasse fanden auch ihre in Zweierreihen hintereinanderstehenden und dann an die Mauer grenzenden, lächerlich schmalen und kurzen Häuser durchaus nicht pittoresk, weil sie nämlich drin leben mussten, in dichtem Gedränge mit zig Familien und dabei von vorn und von hinten kein Licht und keine Luft bekamen. Sie hätten liebend gerne woanders in der Stadt gesiedelt als in diesem engen, stickigen, stinkigen Halbkreis im Wollgraben vor der alten Staufenmauer. Am Dom zum Beispiel. Wie früher, bevor in der späten Renaissancezeit der damalige Herr Römische Kaiser (glorwürdigst und durchlauchtigst regierend) sich besonnen hatte, er sei nicht nur römisch, sondern vor allem katholisch – und dass hier in der Kaiserstadt, direkt an der Krönungskirche, das Judenvolk sich so freizügig und für alle sichtbar dem Handel, Wandel und schönen Leben hingab, als wollte es den Christen noch die lange Nase zeigen, nachdem es ihnen den Heiland ermordet hatte – das war doch ein Skandal und seiner und des Reiches nicht würdig. Er hatte also dem Rat aufgetragen, die Juden gefälligst außerhalb der Stadtmauern anzusiedeln, mit ein paar eigenen Mauern drum um ihr Viertel, und sie feiertags und nachts unter Verschluss zu halten, wie das neuerdings Brauch geworden war in der zivilisierten Welt. Hielt man die Juden nämlich sonntags eingeschlossen, konnten sie die Feiertagsruhe nicht stören und wären am Schänden von Hostien und Morden von Christenkindern zum Osterfest gehindert. (Natürlich glaubte außer Bauern, Handwerksgesellen und anderem randalierenden Pöbel niemand − und der Kaiser schon gar nicht −, dass die Juden sich für Hostien oder Christenblut interessierten. Aber die Maßnahme war dennoch sinnvoll, gerade weil der Kaiser offiziell der Schutzherr der Juden war. Wenn die Juden nämlich sozusagen hinter Schloss und Riegel säßen, dann würde das hoffentlich den besagten Pöbel davon abhalten, immer mal wieder ein Gemetzel und Gebrandschatze und Geplünder bei ihnen anzurichten. Das kam leider bislang sehr häufig vor und bereitete am Ende der christlichen Obrigkeit am meisten Verdruss, indem sich danach die Juden bitterlich beim Kaiser und beim Rat beschwerten und Prozesse anstrengten und Entschädigung verlangten und die Nützlichsten unter ihnen künftig ihre Dienste anderswo anboten.)
    Der Frankfurter Rat hatte damals zwar keine besondere Lust auf eine Judenumsiedelung gehabt, die ihm teuer und dem Handel abträglich erschien, und im Übrigen verstanden sich viele Herren im Rat sehr gut mit ihren jüdischen Geschäftspartnern. Sie hatten sich aber nach ein paar Jahren Hinauszögern und Vertrösten doch den wiederholten Befehlen des Kaisers fügen müssen.
    «Außerhalb der Stadtmauern», hatte der Kaiser angeordnet, und die Stadtväter nahmen ihn beim Wort, indem sie die Juden im Osten der Stadt direkt außen an der

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