Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sagen, was Sache ist.
Zumal die Frau Bauerin von dieser Sache am liebsten selbst nichts wissen will.
Als die Tür krachend hinter ihr zugeht, gibt sich die Susann einen Ruck und fängt dann fiebrig an mit dem Essen, denn sie ist tatsächlich verspätet, es eilt, die Suppenknochen müssen ja auskochen. Und sie bereitet sich dabei in Gedanken auf den Nachmittag vor, wenn sie sich vom Doktor Metz über ihren Bauch beraten lassen soll. Denn sie wird dem nicht ausweichen können. Befragt sie ihn nicht, macht sie sich verdächtig bei der Frau Bauerin.
Fast ist es ihr lieb, dass sie gleich diese neue Gefahr zu bestehen hat. Solange sie nur jetzt nicht weiter an den September denken muss.
Nach dem Mittagessen allerdings sah das schon wieder anders aus.
Die Susann war so steif vor Angst, dass ihr das Abspülen schwerfiel und das Ascheausfegen. Seitdem sitzt sie reglos auf dem Schemel und wartet, dass es zwei schlägt. Essen hätte sie nichts können, selbst wenn sie gewollt hätte (und um den Bauch möglichst dünn zu halten, wollte sie nicht). Sie hat Ihre Portion zurückgestellt für später, wenn sie von dem Arztbesuch zurückkommt, und da steht das Essen nun, Suppe, Gemüse und Brot, zugedeckt, damit die Mäuse nicht drangehen, aber die Susann kann sich nicht vorstellen, dass sie das wirklich später essen wird. Denn wenn Sie zurückkommt, dann wird wahrscheinlich nichts mehr sein, wie es war.
Bim! Bim! Das 2-Uhr-Geläut.
Die Susann rafft sich auf. Sie geht durch die Bierstube in den Hof und verabschiedet sich von der Frau Bauerin, als sei nichts. Die ihrerseits wünscht ihr launig einen guten Weg.
Als sie den Torbogen zur Straße verlässt, sieht sie an der Ecke eine Stelle, wo gelbe Flechten über den rosaroten Sandstein kriechen. Wie schön das eigentlich aussieht!, denkt sie und wundert sich über sich selbst. Und so geht es ihr den ganzen Weg lang, überall entdeckt sie bislang unbeachtete, hübsche Kleinigkeiten, bunte Hausembleme, Steine, Durchblicke, Wolken, an denen man sich so unbeschwert freuen könnte, wenn man eine gewöhnliche junge Dienstmagd wäre mit den üblichen kleinen Alltagssorgen und einer guten Brotherrin und den Schwestern in der Nähe, die einen zwar manchmal allzu sehr wie ein Kind behandeln, aber die man doch im Grunde herzlich lieb hat. Was wäre die Welt schön, wenn sie nicht schwanger wäre!
Sie schwört sich, das niemals mehr zu vergessen, falls sie wider alle Anzeichen die Sache irgendwie unbeschadet hinter sich bringen kann.
Dann steht sie vor dem Ziel, vor zwei ausgetretenen Stufen aus dem heimischen Frankfurter roten Sandstein und einer blauen Tür, zu der die Stufen führen, ein fleckiges Uringlas hängt als pittoresk-altertümelndes Ärzteemblem daneben. Das Haus liegt kurz vor der Metzgerpforte und hat keinen Hof. An der Tür hängt ein eiserner Klopfer, den die Susann schließlich wohl oder übel auch bedient, und wer öffnet, ist eine Dienstmagd wie sie selbst, im gleichen Alter oder jünger, rotblond und spitzbübisch im Gesicht.
Wen sie dem Herrn Doktor melden solle?
«Die Magd von der Frau Bauerin vom Einhorn . Ich soll mich erkundigen wegen den Rezepten von meiner Frau, die er ihr gestern gegeben hat.»
«Soso! Wegen den Rezepten von Ihrer Frau ist Sie hier! Ganz bestimmt, das sieht ja jeder», höhnt die Magd und blickt ihr naserümpfend auf den Bauch.
«Kümmer Sie sich um Ihren eignen Dreck», entfährt es der Susann, und sie denkt: Herr Jesus, warum hast du mich hierhergehen lassen, warum hab ich mich nicht gleich in den Main geworfen, da wär ich besser aufgehoben gewesen.
Jetzt ist sie aber hier und nicht im Main und muss der frechen, neunmalklugen Metzischen Magd hinterhertrapsen in ein Zimmer im zweiten Geschoss, gleich hinter dem Treppenabsatz, eines mit Bücherregalen an den Wänden und einem Schaukelstuhl am Fenster, aus dem der Doktor Metz eben erst aufgestanden sein muss, denn das Ding schaukelt noch sanft vor sich hin.
Der Herr Doktor hingegen, in Braun und Grün gekleidet, steht nahe der Tür an einem langen Tisch voller merkwürdiger Dinge wie Glasrohre und Glasballons und betrachtet, eine Lorgnette vorm Auge, hochkonzentriert ein gelbliches Mineral.
«Die Magd von der Witwe Bauerin», verkündet in fröhlichem Ton das Mädchen und verlässt gleich wieder das Zimmer, ohne aber die Tür richtig zu schließen. Der Doktor Metz hebt interessiert die Augen von seinem Mineral, legt es achtlos ab und betrachtet statt des Steins durch die Lorgnette
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