Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
solche primitiven Methoden überlassen die studierten Physici natürlich den groben, ungebildeten Leuten wie Wundärzten oder pfuschenden Frauenzimmern. Ein Arzt verfügt über so fundierte Kenntnisse der Theorie, dass er ganz vorzüglich allein mit Urin arbeitet und mit den Beschreibungen, die der Patient von seinen Symptomen gibt. Anderes hat man gar nicht nötig. Und in der Tat lag der Doktor Metz ja dank seines penetrierenden, schlauen Blicks auch ganz richtig mit seiner Ansicht, dass die Magd entweder schwanger war − oder aber nicht. Dann war es eben eine Blutstockung.
Was bezüglich des zu verschreibenden Rezeptes nun wirklich keinen Unterschied machte. Doch das wiederum war etwas, was man wohlweislich nicht aussprach. Um Himmels willen. Man wollte sich ja nicht verdächtig machen. Der Doktor Metz hatte ja als frommer Mensch auch keineswegs vor, einem kapitalen Verbrechen wie vorsätzlichem Abort Vorschub zu leisten! Vielmehr galt es, seiner guten Kundin, der Witwe Bauerin, die fleißige, unentbehrliche Magd zu kurieren, die in letzter Zeit wegen verstockten Blutes leider schwächlich geworden war. Das Mädchen sah jedenfalls unglücklich genug aus.
Der Doktor drehte sich also wieder Richtung Tisch und reckte den Arm nach der Feder. Papier lag schon da. Einen Augenblick grübelte er noch, ließ die halb erhobene Lorgnette wieder sinken, während die Feder schon in Position schwebte.− Sollte er wirklich? − Etwas heikel war es nämlich schon. Da kollidierte man ja wieder mit der Frankfurter Medizinalordnung, die den Apotheken vorschrieb, scharfe Medikamente, die die Menstrua oder Geburt befördern, an Dienstgesinde oder sonstwie verdächtige Personen nicht auszuhändigen.
Doch wie gesagt, der Witwe Bauerin wollte er nicht ein weiteres Mal binnen so kurzer Zeit ungefällig sein. So entschloss sich der Doktor Metz zu einem Rezept, das ihm beim Studium in Leyden von einem seiner Professoren verraten worden war und das als probates Geheimmittel galt, den weiblichen Unterleib zur Entleerung anzuregen. Mehr noch, es hatte sich in seiner Praxis schon gelegentlich als wirksam erwiesen. Leider war es insgesamt ein bisschen ekelhaft. Was die Wirkung nur befördern konnte. Und zwar enthielt es:
Weißer Pfeffer ½ Unze
Mutterkorn 1 Drachme
Männerurin 6 Unzen
Galle von einem schwarzen Hahn 2 Unzen
Selleriesamen 1 Unze
Kreuzkümmel 1 Unze
Schlafmohn 1 Unze
Dies notierte er recht ordentlich in Apothekerlatein, quetschte in einer plötzlichen Eingebung: «Der Wittib Bauerin, Gasthaus Zum Einhorn , gegen Frauenleiden» als Überschrift darüber, setzte das Datum an den Schluss und unterschrieb.
«So, das hätten wir! Lass Sie sich hieraus einen Trank bereiten, aber bitte vom Apotheker Salzwedel, und wenn Sie den Trank nur fleißig nimmt, so drei, vier Löffel am Tag, dann wird sich die verstockte Ordinaire bald wieder einstellen.»
Halb herumgerutscht im Stuhl und mit ausgestrecktem Arm hält er ihr den Zettel entgegen. Die Susann traut sich heran und nimmt das Papier. Es kann doch der Doktor Metz nicht tatsächlich ihre Schwangerschaft verkannt haben?
Doch, hat er. Kein Zweifel.
Merkwürdig nur, das die Susann sich keineswegs erlöst fühlt. Oder vielleicht ist es nicht so merkwürdig, denn weniger schwanger als zuvor wird sie natürlich nicht davon, dass der Dr. Metz ihren Halblügen und Halbwahrheiten glaubt, und das Gewissen wird davon auch nicht besser. Sie nimmt den Zettel, bedankt sich, verabschiedet sich, nimmt die Grüße an die Frau Bauerin entgegen und geht.
«Ach, he, einen Augenblick! Warte Sie!»
Da ist sie schon auf der Treppe. Herr Jesus, jetzt passiert es doch noch. Wohl oder übel dreht sie sich um. Oben in der offenen Tür steht der Doktor Metz, eine Hand an der Klinke, die andere an den Rahmen gelehnt, ein schwarzer Umriss nur im Nachmittagssonnenlicht, das aus dem Zimmer fällt.
«Wir wollen doch Ihrer Frau besser schriftlich Nachricht geben.»
«W−?»
«Na, komm Sie nochmal hoch.»
Die Susann gehorcht.
Der Doktor sitzt schon wieder am Schreibtisch und kritzelt geschäftig:
Hochwerte Witwe Bauerin,
ich weiß nichts sicher zu sagen, denn Ihre Magd will nichts gestehen, sondern gibt beständig vor, über einen Zorn ihr Geblüt verloren zu haben, und ihr Leib sei nirgends ganz dünn und nach dem Essen etwas dicker. In der Annahme, dass sie die Wahrheit spricht, habe ich dem Mädchen einen Trank verschrieben, der ihr sicher helfen wird.
Ihr gehorsamster
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