Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
gehabt.
Allgemeine Heiterkeit.
«Wie dumm von ihr», schimpft Cornelie, die nicht mitlacht.
«So ist halt der Pöbel», kommentiert Leonore, «diese Leute können nicht so weit denken, wie sie spucken können.»
«Warum verklagt sie denn nicht ihren Liebhaber auf Heirat, wie vor Jahren ihr wisst schon wer?»
Leonore lacht auf. «Sie hat wahrscheinlich schon vergessen, wer’s war, der ihr das Kind gemacht hat. Der Pöbel hat ein kurzes Gedächtnis.»
«Eher ist sie zu blöd, um zu wissen, dass sie klagen könnte», findet Philippine.
«Alles Unsinn», erklärt Caroline von Stockum. «Sie arbeitet doch in dieser Judenherberge. Maman und ich haben den Verdacht, dass der Vater – ein Jude ist!»
Andächtiges Schweigen.
«Und?», meldet sich dann unbeeindruckt das Runckelchen. «Was hat das mit der Klage zu tun?»
«Mensch, Runckelchen, jetzt sei mal nicht so schwer von Begriff!», schilt Leonore. «Einen Juden kann sie doch nicht heiraten, selbst wenn sie klagt! Selbst, wenn er wollte.»
ZWEI TAGE SPÄTER
DER BONUM zum Beispiel würde wollen, wenn er könnte. So böse er der Susann ist, dass sie gesündigt und sich selbst und dazu noch ganz unschuldige Menschen wie ihn in Schwierigkeiten gebracht hat: Er würde sie, wenn er könnte, durch Heirat da rausholen. Weil er die Susann eigentlich immer gern gemocht hat. Aber er kann nicht. Und die Religion ist nur ein Grund dafür, seine fehlende Stättigkeit der nächste, sein schwankender, für die Hausvaterrolle und eine der raren Heiratslizenzen unzureichender Verdienst ein dritter.
Nachdem ihm aber heute nun der Jontef ein zweites Mal über den Weg läuft in der Judengasse und ihn diesmal sieht und erkennt und nach dem Befinden fragt, da entfährt dem Bonum entgegen aller Vorsicht und allen Vorsätzen, sich zum eignen Schutz nicht einzumischen, der Satz, ihm gehe es bestens, danke, was man aber von der Bauerischen Dienstmagd nicht sagen könne und was seiner Ansicht nach mit dem Holländer, dem Begleiter vom Jontef vom letzten Winter, zu tun haben müsse.
«Wie? Ich versteh Euch nicht. Wollt Ihr sagen, sie hat Kummer, weil sie ihn liebt, den Jan?»
Von Liebeskummer allein bekomme man keinen dicken Bauch, raunt der Bonum.
«Oj wej!», ruft der Jontef mit seinem ostjüdischen Akzent, «das große, nette Mädchen, nehm ich an?»
«Richtig, das große Mädchen. Susann.»
«Was wird sie tun?»
«Was weiß ich. Sie gibt es ja nicht mal zu, dass sie schwanger ist. Von verstocktem Blut redet sie.»
«Oj wej. Soll ich ihm schreiben, dem dummen Jungen?»
«Das wär wohl eine schlechte Idee nicht.»
So, das wär’s, jetzt hat der Bonum aber nun wirklich mehr als genug für die Susann getan. Wenn es mal nur nicht zu seinem Schaden sein wird. Dass nun etwa herauskommt, dass er mehr weiß als die Frau Bauerin und dennoch bislang geschwiegen hat. Ziemlich sorgenvoll schleppt er sich zum Salzfischeeinholen für seine Klientin Hundchen.
Der Jontef hingegen fängt an zu rechnen auf dem Weg in sein Logis im Goldenen Anker , und er kommt zu dem Schluss, dass der Jan, der Schlawiner, sich schon sehr, sehr beeilen müsste, wollte er vor der Geburt des Kindes eintreffen aus Petersburg. Falls er sich überhaupt zum Kommen entschlösse. Und wenn der Brief an ihn schnell und mit der Post gehen soll, dann wird der auch verflixt teuer. Lohnt sich kaum. Für eine Sache zudem, die ihn (den Jontef) gar nichts angeht.
Aber am selben Abend kommt der Zufall zu Hilfe und das Gespräch im Coffeehaus auf Petersburg, indem der Tuchhändler Raphael Beer aus dem Roten Widder übelgelaunt erzählt, er habe dort neuerdings einen Agenten und sich viel davon versprochen, und da bekommt er doch heute einen Eilbrief von dessen Hand, mit der Nachricht, es biete sich ein vorteilhafter Kauf, englisches Tuch zum Spottpreis aus einem Bankrott, ob er – der Agent – da einschlagen solle? Raphael Beer sei knapp der Apoplexie entkommen, als er das lesen musste. Hatte er denn nicht einen Agenten geheuert genau dafür, dass der, wenn’s drauf ankam, sofort an seiner Statt handelte, statt lang Briefe zu schreiben?
Dem Jontef schien des Tuchhändlers Missgeschick ein Wink der Vorsehung. «Habt Ihr ihm schon zurückgeschrieben, dem Agenten?», fragt er. Aber sicher, lautet die Antwort, der Brief gehe morgen mit der ersten Post raus. Und dann fragt der Jontef, ob man vielleicht dem Brief eine kurze Notiz von wenigen Zeilen an jemanden in Petersburg beilegen könne, dem er, um seinerseits jemand anderen
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