Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
gefällig zu sein, dringend Nachricht zukommen lassen müsse?
Sicher, bescheidet nach kurzem Überlegen Raphael Beer, das würde gehen.
ENDE JUNI 1771
ES IST EINE dunkle Regennacht, laut platscht das Wasser aus der Rinne neben dem Küchenfenster auf die Steine, und die Susann kann nicht schlafen. Natürlich verfolgen sie gewisse Gedanken. Wie nicht selten, rutscht sie in ein fruchtloses Grübeln, ob sich nicht vielleicht doch noch was machen ließe. Ob sie zum Beispiel nicht doch noch die Schwangerschaft zugeben soll (als wäre das so einfach) in der Hoffnung, dass sich wider Erwarten eine Schwester bereit erklären würde, ihr das Kind abzunehmen und fürs eigene auszugeben? (Das glaubt sie allerdings selbst nicht.) Oder ob sich vielleicht irgendwo auf dem Land bei einer Bäuerin, die’s nicht genau nimmt, eine Dienststelle finden würde, wo sie das Kind behalten kann? (Höchstens bei armen Leuten, bei denen sie kaum was zu essen bekommt, außerdem hat sie noch nie im Leben eine Kuh gemolken oder Heu gemacht.) Oder schließlich: Ob sie nicht doch noch versuchen soll, sich das Kind von einer sicheren Frau wegmachen zu lassen? (Auch das hat sie vor Monaten schon verworfen, weil es, als sie das Kind spürte, allemal ein bisschen spät für dergleichen Maßnahmen war, und erst recht jetzt, es sei denn, sie wollte verbluten dabei. Außerdem kennt sie keine solche Frau und wird bei ihrem derzeitigen Ruf wohl kaum ohne sich zu verraten eine in Erfahrung bringen können.)
Ach, wenn nur ihre Mutter noch lebte!
Dieser Wunsch hilft ihr aber bestimmt nicht weiter. Da fängt sie höchstens gleich an zu weinen. Die Susann versucht also ihr Möglichstes, jetzt nicht mehr weiter nachzudenken über ihre Lage. Es geht ihr sowieso immer am besten, wenn sie so tut, als wäre nichts. Und tatsächlich fühlt sie sich, von ihrem Kummer und abendlich dicken Beinen abgesehen, augenblicklich so gesund und stark wie lange nicht. Was ihr, bei Licht besehen, wenig Freude machen kann, weil es doch viel eher für eine Schwangerschaft spricht als für einen Ball von stinkendem altem Blut im Leib. Nicht, dass sie noch Zweifel hätte, ob sie schwanger ist oder nicht. Weiß Gott nicht. Sie hat den Medizintrank vom Dr. Metz überhaupt nur deshalb zubereiten lassen, weil sie den Schwestern und der Frau Bauerin vormachen wollte, dass sie selbst sich tatsächlich nicht für schwanger halte. Dass sie selbst an die Lüge vom verstockten Blut glaube, gegen das die Medizin helfen soll. Was ihr natürlich ein schrecklich schlechtes Gewissen gemacht hat, denn der Trank war alles andere als billig gewesen, und sie hatte ihn sich von der Ursel und der Dorette zur Hälfte bezahlen lassen, wohl wissend, dass er ihr überhaupt nichts helfen wird. Und dann hat sie ihn nur einmal genommen, denn er schmeckte so scheußlich, dass es sich ihr seitdem jedes Mal hebt, wenn sie daran denkt. Den Betrug so weit zu treiben, dass sie das widerliche Gebräu dreimal täglich scheinheilig schluckt, wohl wissend, dass es gegen etwas helfen soll, das sie gar nicht hat, dazu konnte sie sich dann doch nicht überwinden.
Aber obwohl die ganze Stadt über ihre Schwangerschaft klatscht, sogar bei den Stockums und den de Barys ist es schon angekommen (an die Begegnung denkt sie lieber nicht zurück), und obwohl sie den Trank nicht weiter genommen hat − trotz alledem glauben ihr ausgerechnet die Frau Bauerin und ihre Schwestern ihre Lüge, dass sie nicht schwanger sei. Weil gerade die ihr vertrauen wahrscheinlich. Jesus, ihr Gewissen. Sie traut sich schon kaum noch zu beten.
EIN SAMSTAG ANFANG JULI
VON SELIGEM Vertrauen in die Unschuld der Susann konnte allerdings, genau besehen, bei den drei genannten Personen nicht die Rede sein. Die Susann merkte davon nur deshalb nichts, weil die Witwe Bauerin ihre Zweifel und gewisse heimliche Pläne für sich behielt. Die Königin wiederum hatte beschlossen, sie habe ihre schwesterliche Pflicht bereits mehr als erfüllt und wasche ihre Hände in Unschuld, was mögliche Sünden der leider missratenen Susann betreffe. Und die Dorette Hechtelin − die schlief zwar sehr schlecht, aber sie sprach nicht darüber.
Gegen Ende der ersten Juliwoche kam der Dorette die Idee, sie könne die Wahrheit von Susanns Beteuerungen, ganz bestimmt nicht schwanger zu sein, noch einmal überprüfen lassen – von dieser unbemerkt. Damit sie, die Dorette, wisse, woran sie sei. Und zwar überprüfen lassen von einem veritablen, anerkannten Experten auf dem
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