Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
miteinander reden, leise, aber es hört sich beinahe wie ein Streit an.
Ist etwa der Wirtin der Verschlag nicht recht geworden?
Als die Susann abgehetzt den Boden erreicht, sieht der Hechtel sie so was von hasserfüllt an. «Du Schlampe kommst zu spät», meckert er, «ich hab den Kasten schon alleine runtergeschleppt.»
«Gelle, Susann, Ihr fegt mir hier noch schnell durch», sagt viel freundlicher die Frau Bauerin und deutet auf die sägemehlübersäten Dielen. Die Susann nickt. «Dann bring ich jetzt den Meister Hechtel nach unten», fügt die Bauerin hinzu, und die Susann versteht, dass sie zurückbleiben und die beiden alleine gehen lassen soll.
Sie lässt also eine Minute verstreichen, bevor sie hinunter zur Besenkammer vom zweiten Geschoss läuft. Als sie wieder hochtrabt mit dem Besen in der Hand und den Boden betritt, da ist das Erste, was sie sieht, das offene große Gaubloch gegenüber.
Wie angewurzelt bleibt sie stehen. Das Gaubloch. Drei hohe Stockwerke bis unten.
Es wird ihr so klar wie irgendwas, als hätt sie’s schon seit Monaten gewusst, dass dies ihr Schicksal ist. Vorbei mit dem Leben. Was bleibt ihr denn sonst, als sich das Gaubloch hinunterzustürzen. Sie starrt auf das Loch. Dann tut sie einen Schritt nach vorn, als ob jemand anderer ihr die Beine bewegt, und noch einen Schritt und noch einen auf das Gaubloch zu. Der Besen fällt ihr aus der Hand auf den Boden.
Sie schreckt auf und erschauert, fängt am ganzen Körper an zu beben, dass es sie schüttelt, und dann dreht sie sich um und läuft mit zitternden Knien, ohne Besen und ohne mit Kehren auch nur angefangen zu haben, die Treppe hinunter, genauso, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Und das ist er ja auch. Denn wer sonst hätte ihr das eben eingegeben: sich das Leben zu nehmen. So viel weiß sie nun wirklich noch aus dem Katechismus, dass Selbstmord eine entsetzliche Sünde ist. Genauso schlimm wie Mord. Das hätte sie geradewegs in die Hölle befördert. Sie dankt dem Herrn Jesus, dass er sie im letzten Augenblick davor bewahrt hat.
Denn wer weiß, ob ihr nicht auch in anderer Hinsicht noch geholfen werden wird. Vielleicht wird alles, vor dem sie sich fürchtet, am Ende nicht so eintreten. Vielleicht ist sie eben in Wahrheit doch nicht schwanger. Oder das Kind wird tot geboren, und sie muss nicht … sie muss nicht … Herr Jesus, nur nicht dran denken.− Und weiter denken kann sie zum Glück auch nicht, weil nämlich soeben die Frau Bauerin schon etwas ungeduldig nach ihr ruft.
So ungefähr drei-, vierhundert Schritt vom Einhorn entfernt, unterhalb vom Dominikanerkloster in der Predigergasse, stand das Haus, wo der Schreinermeister Hechtel mit seiner kleinen Familie im Erdgeschoss wohnte. Und da ging es später am Tag hoch her. Jedenfalls für die Verhältnisse der Eheleute Hechtel, die sich schon deshalb selten stritten, weil die Dorette die brummigen Äußerungen ihres Gatten meist nur halb verstand.
Für gewöhnlich waren beide Eheleute sehr zufrieden mit ihrem beschränkten Gedankenaustausch. Aber es gab natürlich Momente − wenn auch seltene −, da musste der Hechtel sich einfach sicher sein, dass seine Frau ihn richtig gehört hatte. Wie in dieser gottvermaledeiten Sache jetzt. Also brüllte er ihr am Tisch in der verrauchten Werkstatt, die auch Küche war, sehr deutlich ins linke Ohr, was die Witwe Bauerin plante. Noch deutlicher aber seinen persönlichen Standpunkt dazu. Und der lautete: Zu uns kommt das Aas nicht.
Das führte natürlich augenblicklich dazu, dass seine Frau rote Flecken am Hals bekam und einen aufgeregten, hektischen Hasenausdruck im Gesicht, und sich schließlich unterstand, ihm zu sagen, er dürfe nicht so hartherzig sein. Er müsse sich das ihr zuliebe nochmal überlegen, die Susann sei doch die Tante seiner Kinder (wobei sie die Hand auf den Bauch legte, in dem sich Kind Nummer zwei derzeit noch befand).
«Den Teufel werd ich», rief darauf der Hechtel so laut, dass die Mieterin, die zwei Stockwerke drüber gerade Gemüse zerteilte, sich beinahe vor Schreck in den Finger schnitt. «Das fehlt noch, dass das schwangere Luder bei meinem Sohn die Tante spielen tut! Ei, du musst doch blöd im Kopf sein, wenn du die hier einquartieren willst. Dass ich die aushalten tu bei den Preisen im Moment. Wovon soll ich’s denn nehmen? Ich werd doch nicht ihre Supp auslöffeln, wo sie sich hat selber eingebrockt.»
«Aber wohin −»
«Schluss! Kein Wort mehr! Die Hur kommt mir nicht ins Haus.
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