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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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vor, dass da etwas zurückbleibt.« Die Frau nahm ihren Burrito und ging wieder nach drinnen. »Jetzt haben wir also Grund zu der Annahme, dass diese Leute mit den jüngsten Morden hier in der Gegend zu tun haben. Dass es Nachahmungstäter sind.«
    Anne schwieg einen Moment. »Ich sage dir jetzt einmal etwas total Unprofessionelles«, sagte sie.
    »Da bin ich aber gespannt.«
    »Jeremy Reynolds ist gefährlich.«
    »Kein Scheiß«, sagte Henry.
    Anne seufzte schwer. »Er hat eine sogenannte dissoziative Fugue erlitten. Er hat ein das Leben veränderndes Ereignis überlebt. Er musste zwangsläufig traumatisiert werden, weshalb ich in keinem meiner Berichte düsterere Schlüsse gezogen habe.«
    Henry war kein Psychiater, aber er hatte genug Gewalt gesehen, um zu wissen, dass sie Leute aus der Bahn warf. »Er hatte gerade gesehen, wie seine Schwester ermordet wurde«, sagte Henry.
    »Sein Affekt war weg«, sagte Anne. Sie zögerte. »Und das ist jetzt nicht meine professionelle Meinung. Meine Meinung als Psychologin stand in dem Bericht: Dissoziative Fugue. Meine Meinung als Mutter? Jeremy Reynolds ist gefährlich.«
    »Susan meint, seine Erinnerung ist zurückgekehrt«, sagte Henry. Er erzählte Anne, was Susan über die Schnittverletzungen berichtet hatte, die offenbar mit den Spuren auf Isabels Rumpf übereinstimmten.
    »Einen Jungen wie Jeremy kann das ohne geeignete Hilfe ins Wanken bringen. Er würde nach alternativen Hilfsstrukturen suchen. Etwa im Internet, bei dem Fanclub. Und er würde nach Leuten suchen, mit denen er reden kann.«
    Henry führte den Gedanken zu Ende. »Wie Archie. Die eine Person, die ihn versteht.« Archie hatte das Krankenhaus verlassen und war auf der Suche nach Jeremy in diesen Keller gegangen. Jemand musste von der Verbindung zwischen ihm und Jeremy wissen. Jemand musste sich ausrechnen, dass Archie in dem Wissen, was Jeremy durchgemacht hatte, fast alles tun würde, um den Jungen zu retten.
    »Susan glaubt, Jeremy war der Mann mit der Maske«, sagte Henry.
    »Na, was denn sonst«, erwiderte Anne.

_ 51 _
    Nach einer Weile stellte Archie fest, dass die Schmerzen von den Haken zu einer Art körperlichem weißen Rauschen wurden. Er entspannte seinen Körper, ließ die Arme baumeln, die Fingerspitzen strichen fast über den Boden, und er atmete tief und langsam. Die Schwerelosigkeit machte ihn orientierungslos, und er wurde zunehmend benommen und schwindlig. Wenn er sich auf den Boden zu konzentrieren versuchte, verschwamm alles vor seinen Augen.
    Sein Blutdruck fiel.
    Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde er bald das Bewusstsein verlieren.
    »Ich kann dich jetzt herunterlassen«, sagte Jeremy.
    Archie hob den Kopf. Der ganze Raum drehte sich. »Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Idee«, sagte er.
    Jeremy zog an einem Mechanismus, den Archie nicht sehen konnte, und nach einem schmerzhaften Ruck wurde er gnädig auf den Beton gesenkt. Archie lag auf dem Bauch, die Arme unter dem Rumpf, die Wange auf dem Boden. Der Beton war kühl. Jeremy hob ihm den Kopf an und hielt ihm eine Flasche an die Lippen. »Zuckerwasser«, sagte er. »Um deinen Blutzucker in die Höhe zu kriegen.«
    Archie teilte die Lippen, und Jeremy schob ihm das Mundstück in den Mund und drückte die Flasche zusammen. Das Zuckerwasser hatte Raumtemperatur und schmeckte süß wie abgestandene Cola, aber Archie saugte es gierig ein, und sein Verstand wurde klarer, während ihm die Flüssigkeit die Kehle hinunterlief. Als Jeremy die Flasche wegnahm, gelang es Archie, sich aufzusetzen, und er zog die nackten Knie an die Brust. »Mach die Haken heraus«, sagte er.
    Jeremy kniete sich hinter ihn. »Ich muss es schnell machen«, sagte er. »Je schneller man sie herauszieht, desto weniger tut es weh.« Archie spürte ihn arbeiten, nahm den Druck wahr, wenn Jeremy ein Tuch an seine Haut hielt, um die Blutung zu stoppen, aber er empfand keinen Schmerz. Er merkte jeweils nur, dass ein Haken entfernt worden war, weil er das Geräusch hörte, wenn Jeremy ihn in einen leeren Joghurtbecher fallen ließ.
    »Ich werde dir jetzt die Luft aus der Haut massieren«, sagte Jeremy. »Das dient der Vorbeugung gegen eine Infektion. Es wird ein bisschen wehtun.« Jeremy drückte mit kreisenden Bewegungen um die Einstiche herum. Es war eher beunruhigend als schmerzhaft, als würden Reis-Krispies unter seiner Haut aufplatzen. Die Luft entwich mit einer Art Rülpser, und warmes Blut spritzte aus den Wunden und lief an Archies Rücken hinab.

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