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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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die Polizei zu Jeremys Zimmer geführt. Er war dort gewesen. Er wusste über die Collage, das Tagebuch Bescheid. Jetzt würden es alle erfahren. Jeremys Gesicht, seine Geschichte, seine Familie, alles würde in den Nachrichten breitgetreten werden. Es war bestimmt nicht gut fürs Geschäft.
    Irgendetwas stimmte nicht.
    Sie gingen an Paul Bunyan, dem Türsteher, vorbei und traten ins frühe Morgenlicht hinaus. Der ganze Himmel leuchtete orangefarben und ließ die Statue auf der anderen Straßenseite in einem feurigen Licht erstrahlen, in dem der Holzfäller noch mehr wie ein Axtmörder aussah.
    Es war kurz vor sechs. Archie wurde seit mehr als fünf Stunden vermisst.
    Als sie zum Wagen gingen, gab ihr Leo ein perfekt gefaltetes weißes Taschentuch. »Ihre Nase läuft«, sagte er.
    Susan schniefte und wischte sich die Nase mit dem Taschentuch, dann gab sie es ihm zurück. Er sah das verrotzte Tuch stirnrunzelnd an, faltete es aber und steckte es in seine Tasche.
    Als sie zum Wagen kamen, hielt er ihr die Tür auf, und Susan stieg ein. »Weiß Ihr Vater, dass Sie der Polizei helfen?«, fragte sie.
    Er schloss die Tür, ging um das Fahrzeug herum und nahm auf dem Fahrersitz Platz. Er sah sie an. »Ja«, sagte er.
    »Tun Sie auch mal was ohne Zustimmung Ihres Vaters?«, fragte Susan.
    Leo ließ den Wagen an. »Mit Ihnen wäre er nicht einverstanden.«

_ 49 _
    Die Wirkung des Kokains war abgeflaut, und Susan musste sich mit Willenskraft zwingen, einigermaßen wach auszusehen. Ian hatte angefangen, die Redaktionssitzungen in seinem Büro anstatt im Besprechungszimmer abzuhalten, damit er hinter seinem Schreibtisch sitzen und alle anderen ehrfurchtsvoll auf seine Autorität blicken lassen konnte. Es gab nur zwei Stühle in Ians Büro und sechs Reporter, die an den Sitzungen teilnehmen mussten, was bedeutete, dass vier von ihnen stehen oder auf dem Boden sitzen mussten.
    Susan kam normalerweise sehr früh, um einen der Stühle zu ergattern. Aber nachdem Leo sie bei ihrem Wagen abgesetzt hatte, war sie direkt hierhergefahren, und es war nur noch auf dem Boden Platz.
    »Also«, sagte Ian. »Offenbar haben wir es hier mit einem Serienmörderkult zu tun. Es handelt sich dabei um Leute, für die sich die Polizei bei allen jüngsten Morden in Zusammenhang mit dem Beauty Killer interessiert. Zwei von ihnen wurden identifiziert.« Ian hatte eine abwischbare Kunststofftafel aus dem Konferenzzimmer in sein Büro gerollt und hinter dem Schreibtisch aufgestellt, damit er Ideen für Artikel aufschreiben und dann ausstreichen oder umringeln konnte, und er hatte Fotos von Jeremy und Pearl daraufgeklebt. »Jeremy Reynolds. Aus Lake Oswego. Sein Vater ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, Immobilien und Venture-Kapital. Margaux Clinton. Sechzehn. Ausreißerin aus Eugene.« Er ließ den Kugelschreiber in der erhobenen Hand verharren. »Wer sind sie? Was hat sie auf Abwege geführt? Außerdem haben wir drei Opfer.« Er hatte ihre Bilder nicht auf der Tafel. »Packen wir sie in eine Geschichte darüber, wie Obdachlose zu Opfern gemacht werden – Kämpfe unter Tippelbrüdern, Gewalt gegen Herumtreiber und so weiter.
    Und natürlich glaube ich, dass es Zeit wird, die Besessenheit von Gretchen Lowell in unserer Gesellschaft zu untersuchen.«
    Susan sah sich in dem Raum um. Für ein Zeitungsbüro war es ordentlich. Ein Wimpel der New York Yankees an der Wand. Ein Plakat des Films Absence of Malice. Eine gerahmte Ausgabe des Oregon Herald vom Tag von Ians Geburt. 1963 – Gott, war er alt. Und zwei hüfthohe Stapel Zeitungen. Auf ein Schwarzes Brett an der Wand hatte Ian neben einen Zeitungsausschnitt, der seinen Gewinn des Pulitzerpreises verkündete, einen Zettel geheftet, auf den er ein Zitat gekritzelt hatte. »Millionen sahen den Apfel fallen, aber Newton fragte, wieso« – Bernard Baruch. Daneben war eine Karikatur aus dem New Yorker. Eine Figur, die Archie Sheridan darstellen sollte, sitzt an einer Bar, der Barkeeper gibt ihm einen Drink und sagt: »Gretchen Lowell spendiert Ihnen ein Bier.«
    »Ich kenne die Antwort«, sagte Susan.
    Ian, der fortgefahren war, sich über die Rolle des Antihelden in der Gesellschaft auszulassen, hörte auf zu reden und sah sie gereizt an.
    »Ich kenne die Antwort«, wiederholte Susan.
    »Wie bitte?«, sagte Ian.
    »Wir sind dafür verantwortlich«, sagte Susan. »Wir waren das.« Die Wände beim Herald waren dünn wie Papier, und alles, was lauter als ein Flüstern war, wurde von allen gehört. Susan

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