Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
ihr geblieben war. „Ist sie so schwierig zu finden?“
„Nein, das ist nicht das Problem.“ Sie zeigte auf die Spitze der Steinernen Hand . „Die Bergwehe wächst dort oben.“
Kaylan besah sich die Felsen. „Ah, jetzt verstehe ich.“
„Sonst hat Ian es immer gemacht“, erklärte Joanna. „Aber heute wollte er wohl nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. Es war ihr absolut klar, warum Ian ihre stumme Aufforderung ignoriert hatte, aber das musste Kaylan nicht wissen.
Ian hatte sich mit Absicht eine Pflanze gewählt, die nur am Fluss zu finden war. So hatte er einen guten Grund, weit weg von der Wiese zu suchen – und von Joanna und Kaylan. Er ertrug es nicht, die beiden so vertraut beieinander stehen zu sehen. Natürlich hatte er gemerkt, wie ihr Blick zu ihm geschweift war, als es um die Bergwehe ging. Aber er hatte seine Gefühle noch nicht wieder unter Kontrolle gebracht, und daher war es besser Abstand zu ihr zu halten. Laurentin hatte sich ebenfalls eine Uferpflanze ausgesucht. Vermutlich, um ihn zu beaufsichtigen und von weiteren Verzweiflungstaten abzuhalten.
Da ihre Pflanzen leicht zu finden gewesen waren, befanden er und Laurentin sich bald wieder auf dem Rückweg. Sie waren fast an der Wiese angelangt, als Joanna seinen Namen rufend auf ihn zugerannt kam. Eine Sekunde lang stockte Ian der Atem. Sie kam zu ihm! Doch dann sah er ihr verzweifeltes Gesicht – es musste etwas passiert sein!
Keuchend kam sie vor ihm zum Stehen und ihre Worte überschlugen sich: „Ian, Kaylan wollte die Bergwehe holen und ist beim Klettern auf den glatten Felsen ausgerutscht und abgestürzt. Er liegt auf einem Felsvorsprung und bewegt sich nicht mehr. Du musst hinaufsteigen und ihm helfen!“
Ian antwortete nicht. Die Bedeutung des Gesagten wurde ihm nach und nach bewusst. Kaylan befand sich in einer gefährlichen Situation. Wenn er nicht schnellstens Hilfe bekam, könnte er möglicherweise sterben …
„Ian! Soll ich mich erst vor dich auf den Boden werfen, damit du ihm hilfst?“, rief Joanna und gleichzeitig spürte er Laurentins Ellenbogen in seinen Rippen.
„Nein, ich komme“, antwortete er und eilte zum Felsen.
Kurze Zeit später war Ian zu Kaylan hinaufgeklettert und tastete prüfend seinen Körper ab. Dann bedeutete er Joanna, dass der Prinz noch atmete und nicht allzu schwer verletzt zu sein schien. Das Geräusch sich nähernder Hufe ließ Ian aufblicken. Ein Trupp berittener Wachen, von einem der Studenten alarmiert, kam auf der Wiese an. Die Soldaten stiegen auf den Felsen hinauf, bis sie knapp unterhalb des Vorsprungs waren, auf dem Kaylan lag. Ian packte Kaylan an den Schultern und ließ ihn vorsichtig in die ausgestreckten Arme der Soldaten gleiten. Die Männer nahmen den bewusstlosen Prinzen in Empfang und begannen mit ihm den Abstieg. Nachdem sie sicher die Erde erreicht hatten, legten sie ihn auf eine Trage, die zwischen zwei Pferden gespannt war. Einer der Soldaten gab Joanna sein Pferd, damit sie Kaylan zur Burg begleiten konnte.
Ian beobachtete die Szene vom Felsvorsprung aus. Joanna sah sich nicht zu ihm um, als sie davon ritt. Ihr Blick war einzig auf den verletzten Kaylan geheftet. Dafür schauten alle zurückgebliebenen Studenten zu ihm auf, als erwarteten sie seine Anweisungen. Er seufzte. „Bringt die gesammelten Pflanzen ins Kräuterhaus. Ich hole die Bergwehe, dann komme ich nach.“ Zu seiner Verwunderung folgten die jungen Männer seiner Anordnung unverzüglich, nur Laurentin blieb am Fuße der Felsformation stehen.
„Was machst du noch hier?“, fragte Ian ihn müde.
„Ich passe auf, dass du heil herunterkommst.“
„Und wenn ich abstürze, was willst du tun? Hochkommen und mich retten?“, erwiderte er zynisch.
„Das wirst du dann schon sehen“, antwortete Laurentin gleichbleibend freundlich.
Ian schämte sich seiner harschen Worte. „Tut mir leid, Laurentin. Das war gemein, was ich eben gesagt habe.“
Laurentin nickte zum Zeichen, dass er die Entschuldigung akzeptierte. Er ahnte, was seinem Freund zu schaffen machte. Aber er konnte ihm keine Hilfe anbieten, leider.
Ians Kletterei verlief ohne Zwischenfälle, sodass die Bergwehe kurze Zeit später neben den anderen Heilpflanzen auf dem Tisch im Kräuterhaus lag. Sorgfältig schloss Ian die Tür ab und ging mit Laurentin zurück in die Burg. Am Haupteingang übergab er den Schlüssel dem wachhabenden Soldaten. Es musste ein neuer Mann sein, denn er hatte ihn vorher noch nie gesehen. „Bitte gib den
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