Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Umkleideraum.
Ian blieb bei Adamo stehen. „Warum war das die erste Übung?“
„So sehe ich am schnellsten, wer Talent hat und wer nicht.“
„Aber es entmutigt die Schwächeren, wenn sich die begabteren Kämpfer auf ihre Kosten hervortun.“
„Nein, es veranlasst sie zum schnelleren Lernen“, antwortete Adamo voller Überzeugung. Er sah Ians zweifelnde Miene und klopfte ihm auf die Schulter. „Außerdem ist es ja nicht dein Problem, du bist der Beste.“
Nachdenklich ging Ian zum Umkleideraum. So gerne er Adamo mochte, diese erste Stunde hatte ihm überhaupt nicht gefallen. Vielleicht konnte er mit Joanna darüber reden. Überhaupt wollte er ihr noch sagen, wie gut ihm die Eröffnungsfeier gefallen hatte – jedenfalls ab dem Zeitpunkt, als sie dabei war. Er befand sich bereits auf halbem Weg zur Apotheke, als ihm einfiel, dass sein Brief an Charlotte wegen des Stammbaums noch nicht fertig war. Das Schreiben dauerte bei ihm einfach noch länger. Seufzend machte er kehrt und ging in sein Zimmer zurück.
Bis zum nächsten Nachmittag, an dem das zweite Fechttraining in der Waffenhalle stattfand, hatte Ian noch nicht mit Joanna gesprochen. Wenn er es sich genau überlegte, hatte er sie nicht einmal gesehen. Wahrscheinlich hatte sie ebenso viel zu tun wie er. Diesmal teilte Adamo die Studenten in kleine Gruppen gemäß ihrem Können ein. Ian war in der besten Gruppe, mit zwei anderen und mit Dogan, was diesem nicht sonderlich gefiel. Der Fechtmeister führte einen komplizierten Angriffsschlag vor, den die jungen Männer üben sollten, während er berichtigend von Gruppe zu Gruppe ging. Ian fiel auf, dass Adamo bei der schwächsten Gruppe, in der sich auch Laurentin befand, stets nur kurz blieb. Während er noch den Kopf darüber schüttelte, hatte er eine Idee. Er lief zu Adamo, besprach etwas mit ihm und kehrte zu Dogan und den anderen beiden zurück. „Ich wechsele die Gruppe“, sagte er.
„Was?“ Fassungslos blickten die drei ihn an.
„Du bleibst bei uns!“, rief Dogan. „Ich kann dich nicht leiden, aber ich kann von dir lernen.“
„Nein“, erwiderte Ian und wandte sich zum Gehen.
Dogan richtete sein Schwert auf ihn. „Ich wiederhole mich ungern“, erklärte er und berührte mit der Schwertspitze Ians Schulter.
Ian hielt inne. „Ich auch nicht.“ Er drehte sich zu Dogan und seinen Freunden um. Die beiden anderen hatten ebenfalls ihre Waffen erhoben und auf ein Zeichen Dogans griffen sie ihn an. Ian seufzte, zog sein Schwert und entwaffnete mit wenigen Schlägen seine drei Gegner. „Es bleibt dabei – ich gehe.“ Er durchquerte die Halle und trat auf Laurentins Gruppe zu. „Ich mache jetzt bei euch mit.“
Laurentin runzelte die Stirn. „Ich habe gerade gesehen, was du kannst. Du wirst dich mit uns langweilen.“
„Das würde ich bei den drei anderen auch.“ Ian steckte sein Schwert in den Waffengürtel zurück. „Ich biete an, euch zu trainieren. Hier im Unterricht und auch gerne zusätzlich – vorausgesetzt, ihr seid einverstanden.“
Laurentin lachte. „Ich bin auf jeden Fall dabei. Ich kann es mir nicht leisten, wegen dieser Kämpferei durch die Zwischenprüfung zu fallen und damit die Akademie verlassen zu müssen.“ Die anderen beiden Studenten aus der Gruppe, Colin und Francis, nickten ebenfalls zustimmend. „Aber ob der Fechtmeister damit einverstanden ist?“
„Wie gesagt, von mir aus kannst du die drei gerne unterrichten. Die klassischen Lehrmethoden haben bei ihnen nicht zum Erfolg geführt, vielleicht helfen ihnen deine.“ Adamo sah Ian nach der Stunde ratlos an. „Ich hatte sowieso befürchtet, dass du unterfordert bist, denn beibringen kann ich dir mittlerweile nichts mehr.“ Er kratzte sich am Kopf. „Allerdings muss ich vorher noch mit Jake sprechen.“
Ian war zufrieden. Morgen beim Frühstück würde er nach Joanna Ausschau halten, um ihr von seinem zukünftigen Nachhilfeunterricht zu erzählen. Für heute Abend hatte er sich mit Laurentin, Colin und Francis verabredet, weil er wissen wollte, warum sie so schlechte Kämpfer waren.
Bei ihrem Gespräch stellte sich heraus, dass in Laurentins Familie der Schwertkampf keine große Rolle spielte. „Mein Vater ist ein Cousin des Königs und unser Land grenzt an seines, bei Gefahr würde König Theodoric für unseren Schutz sorgen. Und außerdem“, er klopfte zärtlich seinen Bauch, „lieben wir alle gutes Essen. Das verträgt sich nicht mit hartem Training.“ Schuldbewusst sah er Ian an,
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