Grim - Das Erbe des Lichts
Liebeskummer, indem sie mit tadellosem Besserwisserblick auf andere Leute herabschaute, sodass Grim nur bei dem Gedanken daran bereits schlecht wurde.
Er warf Remis einen Blick zu, der schweigend auf Carvens Schulter saß. Der Kobold hatte eine Ewigkeit gebraucht, um seine Finger von der halben Erdnuss zu lösen, die Rosalie ihm geschenkt hatte, und war anschließend in tiefes Schweigen versunken. Doch hin und wieder schaute er zu Grim herüber, und er tat es mit einem Ausdruck im Gesicht, der eines ganz klar machte: Diese Luxusreise in die Berge würde noch nicht der Tiefpunkt des Tages für Grim sein. Denn in den unergründlichen Weiten des Koboldhirns gingen Dinge vor, die nicht zu Grims Gunsten ausfielen, und wenn Grim eines genau wusste, dann war es dies: Niemals würde Remis darauf verzichten, ihm seine Gedanken um die Ohren zu schlagen, wenn er sie erst einmal durchdrungen hatte — ob er sie nun hören wollte oder nicht. Meist kleidete Remis seine wirren Überlegungen in überaus nervige Fragen, und so klein seine Finger auch waren: Sie eigneten sich hervorragend dafür, in geheime Wunden gelegt zu werden.
Gerade in diesem Moment wandte der Kobold auch schon den Blick und sah Grim an.
Zwei Fragen,
sagte Remis auf Grhonisch, ohne seine prüfende Miene fallen zu lassen.
Die erste stellst du dir selbst, das weiß ich: Welche Antwort hätte der Junge Alvarhas gegeben, wenn du nicht auf die Lichtung gesprungen wärst? Und die zweite, viel wichtigere: Warum hast du das getan?
Grim seufzte. Er hatte es gewusst. Nervige Fragen aus den ewigen Weiten eines Koboldhirns, die erste. Sein Blick verfinsterte sich, als er an die Szene auf der Lichtung zurückdachte.
Du hast ihn getötet, und du hast es genossen.
Alvarhas hatte versucht, Carven in die Seele zu schauen — doch war es ihm gelungen? Grim hatte den betrunkenen Kerl gesehen, er hatte gefühlt, was der Junge gefühlt hatte. Eines stand fest: Wenn er an Carvens Stelle gewesen wäre, hätte er seinen Stiefvater vermutlich nicht auf so schmerzfreie Weise von seinem jämmerlichen Leben befreit. Er stieß die Luft aus. Doch um ihn ging es nicht. Er war ein Schattenflügler, ein Anderwesen, er wusste, was richtig war und was nicht. Aber wusste der Junge es auch? War ihm klar, auf welcher Seite er stehen musste, wenn er über eine Macht wie Kirgans Schwert gebot? Oder würde er Schwäche zeigen und den falschen Weg gehen — wie Aldrir vor so langer Zeit? Ein Schauer lief über Grims Rücken, als er an das Gesicht der Schneekönigin dachte, das im Blick des Albs aufgeglommen war, und er hörte noch einmal Alvarhas' Stimme:
Menschen von deinem Schlag werden willkommen sein im Land des Frosts.
Er spürte Remis' Blick, er wusste, dass der Kobold mit eindringlicher Miene auf eine Antwort wartete.
Das weißt du genau,
erwiderte Grim in Gedanken.
Der Junge ist ein Kind, und darüber hinaus haben wir schon einmal erlebt, dass er dunklen Gefühlen gefolgt ist.
Remis verschränkte die Arme vor der Brust und nickte mit an Überheblichkeit kaum zu überbietendem Blick vor sich hin.
Ich wusste es,
stellte er fest.
Mia hatte recht — mit allem, was sie gesagt hat. Du willst wirklich kein bisschen an den Jungen glauben. Aber meinst du nicht, dass es langsam mal Zeit wird, die verflixten Zweifel zu vergessen und an das zu glauben, was du jedem predigst, der es nicht hören will: dass es die Hoffnung ist, die Helden hervorbringt?
Grim schnaubte durch die Nase.
Ich habe es Mia gesagt, und ich sage es auch dir: Die Hoffnung allein wird aus dem mickrigen Kind, auf dessen Schulter du sitzt, keinen Krieger machen — und nichts anderes brauchen wir!
Remis sah ihn mit trotzigem Ernst an, und für einen Moment glaubte Grim, dass der Kobold sich nach seinem vorangegangenen geistigen Erguss in einem argumentativen Monolog verstricken würde. Doch er sah als Kommentar nichts als zwei hochgezogene Koboldbrauen. Gleich darauf ging eine schattenhafte Traurigkeit durch Remis' Blick, die ihn wie immer aussehen ließ wie ein getretener Hund, der mit allem Mitgefühl der Welt auf ein Wesen schaute, das noch bemitleidenswerter war als er selbst.
Bist du wirklich so blind geworden?,
hörte Grim Remis' Stimme in seinem Kopf und konnte es nicht verhindern, dass sich seine Kehle zusammenzog.
Weißt du wirklich nicht, welche Stärke in Carven wohnt? Hast du die Nächte vor den Fenstern der Neugeborenen vergessen, die Abende bei den Spielplätzen der Kinder? Was war es, das sie dir so wertvoll machte,
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