Grim - Das Siegel des Feuers
blieb er noch einmal stehen. »Sag mir wenigstens deinen Namen«, rief er leise.
Sie beugte sich ein Stück vor. »Mia.«
»Ich bin ...«
»... Morl«, sagte sie lächelnd.
Morl grinste schief. Dann legte ihm der Bärtige die Hand auf die Schulter. Morl warf Mia noch einen Blick zu, dann liefen die drei die Gasse hinab und verschwanden.
Mia wusste nicht, wie lange sie in der Finsternis gehockt und auf Jakob gewartet hatte, bis sie endlich seine Schritte hörte. Wortlos griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich.
Sie liefen durch ein Gewirr aus Gassen, und bald hatte Mia keine Ahnung mehr, wo sie sich befand. Immer wieder sah sie sich um, voller Angst, eine Armee von Schattenflüglern hinter sich zu erblicken. Aber da war nichts. Eilig lief sie neben Jakob über einen weiten, marmornen Platz, an dessen Rand sich die kristallene Fabrik erhob, die sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in Ghrogonia gesehen hatte.
»Ich glaube«, keuchte sie und stützte sich auf ihre Knie, »wir haben es geschafft.«
Jakob sah sich um, ein Anflug von Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. Da glitt sein Blick über sie hinweg, und jedes Lächeln gefror auf seinen Lippen. Erschrocken sah Mia sich um und erstarrte. Drei dunkle steinerne Gestalten standen am Rand des Platzes, regungslos wie Statuen, und schauten aus flackernden Augen zu ihnen herüber. Zwei von ihnen sahen aus wie unscheinbare, ein wenig grobschlächtige Menschen mit bronzefarbener Haut. Der Dritte trug schwarze Tätowierungen auf seinem kahlen Schädel und seine Haut war mehligweiß. Ein boshaftes Lächeln breitete sich auf seinem Mund aus und färbte die Lippen schwarz. Alle drei trugen bodenlange schwarze Umhänge.
»Die Gargoyles«, flüsterte Mia. »Sie haben uns gefunden.«
Jakobs Augen wurden schmal. »Das sind keine Gargoyles.«
Als hätten sie seine Worte gehört, setzten die Gestalten sich in Bewegung. Obwohl sie keine Flügel hatten, erhoben sie sich in die Luft und flogen in rasender Geschwindigkeit auf Mia und Jakob zu.
Panisch warfen sie sich herum, rannten auf die Fabrik zu und standen im nächsten Moment in einer gewaltigen Halle aus Kristall. Direkt vor ihnen erhob sich hinter einem gläsernen Trichter ein gewaltiger Wirbel aus Licht und Farben bis zur Decke. Schwebende Plattformen verteilten sich über den gesamten Raum. Bequeme, von gläsernen Kuppeln überwölbte Sessel standen darauf, und auf den Sesseln lagen Gargoyles, die offensichtlich schliefen. Die Kuppeln über ihren Körpern wurden durch feine Glasadern mit dem Wirbel verbunden, dessen Licht sie wie eine Dusche auf die Gargoyles niederrieseln ließen. Als goldene Funken tanzte es über die steinerne Haut und sank in die Körper der Gargoyles ein. Eine Treppe aus Marmor wand sich am äußeren Rand der Halle nach oben und lief wie ein Schneckenhaus in der Höhe spitz zu. Daneben saß ein Wachtposten hinter einem marmornen Tresen und döste vor sich hin. Jakob zog Mia mit sich. Sie liefen die Treppe hinauf und kauerten sich hinter den Sessel eines beleibten Gargoyles in Ochsengestalt, der leise schnarchte.
»Wo sind wir hier?«, flüsterte Mia, während sie atemlos auf die Eingangstür starrte.
»In der Traumsammelstation«, sagte Jakob leise. »Früher hat jeder Gargoyle für sich selbst gesorgt, was aber mit zunehmender Population dazu geführt hat, dass immer mehr Gargoyles sich an der Oberfläche herumtreiben mussten und die Menschen auf sich aufmerksam machten. Jetzt erledigen speziell ausgebildete Traumsammler die Aufgabe, die Träume der Menschen zu stehlen. Sie nutzen sie nicht für sich selbst, sondern geben sie hier ab, wo sie durch die Kraft des Zepters von den Gargoyles für eigene Träume verwendet werden können.«
Fasziniert warf Mia einen Blick auf die farbigen Schleier im Trichter. Das waren die Träume der Menschen? Kaum hatte sie das gedacht, erkannte sie ein wild galoppierendes Pferd darin, das sich in einen Vogel verwandelte, dann in eine Wolke, in ein Meer, sie sah lachende und weinende Gesichter, sah die Blüten einer Blume und einen verlassenen Tunnel in der Nacht. Die Bilder flackerten so schnell auf, dass ihr schwindlig wurde. Gerade wollte sich ein Lächeln auf ihre Lippen stehlen, als die Glastür sich öffnete und ihre Verfolger eintraten. Suchend ließen sie ihre Blicke über die Ruheinseln gleiten. Mia hielt den Atem an. Vielleicht würden sie sie nicht sehen. Vielleicht würden sie einfach wieder gehen. Vielleicht ...
»Was soll das?«,
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