Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
vermutlich länger als während sämtlicher Kirchgänge seiner Kindheit zusammengenommen. Hätte der Buddha auch nur eine halbe Stunde mit dem Setzen von Sträuchern verbracht, er wäre vom Lotossitz bestimmt nicht so angetan gewesen. Ach Gott, der Rücken! Der widerspenstige Rücken! Melrose stampfte gerade die Erde fest, als ihm plötzlich ein Paar Pfoten und etwas Struppig-Schnaufendes ins Blickfeld kamen. Melrose seufzte. Für diesen Streuner Sparky war er nun wirklich nicht in Stimmung, doch der stand vor ihm, vermutlich eifrig darauf bedacht, das mit dem Pflanzensetzen im Dezember noch mal gründlich zu überdenken.
»Bin ich auch dafür«, sagte Melrose und holte seine Zigaretten und sein altes Zippo-Feuer-zeug hervor. »Aber wenn Murphy sagt, es gehört gemacht, dann mache ich es.« Das Zippo ratschte, wollte aber nicht angehen. »Du hättest mir nicht zufällig Feuer, oder?«
Sparky stand da und wedelte mit seinem Stummelschwanz hin und her. Wollte er, dass Melrose irgendwohin ging? Er vollführte kleine Rückwärtsbewegungen, die bei einem Puma etwa höchst beunruhigend gewesen wären.
Melrose klemmte sich die unangezündete Zigarette hinters Ohr und hockte sich auf den kalten Erdboden. »Jetzt reicht's aber! Wo steckt denn dein junger Gefährte?« Er vernahm ein Zischen, drehte sich um und sah Snowball, die Gassenmieze mit dem Gesicht, das aussah wie gegen eine Glasscheibe gequetscht. Zwischen Sparky und Snowball sitzend grübelte er darüber nach, was diese beiden Tiere eigentlich so anziehend an ihm fanden, als er plötzlich jemanden seinen Namen rufen hörte.
»Mr. Plant!«
Als er nicht gleich ausmachen konnte, aus welcher Richtung der Ruf gekommen war, rief die Stimme: »Ambrose! «, als wisse er als Angehöriger des Personals bloß mit seinem Vornamen etwas anzufangen. Er wandte sich um und sah Jan Tynedale in der offenen Terrassentür stehen. Er bedeutete Melrose herüberzukommen. »Ich würde Ihnen da gern etwas zeigen.«
»Sehr wohl, Sir.« Melrose hätte an seiner Stirnlocke gezupft, wenn er sie hätte finden können.
Er folgte Ian Tynedale in die Bibliothek, wo dieser zuvor das Einstellungsgespräch mit ihm geführt hatte. Man war rasch zum Thema Kunst abgeschweift, als Melrose ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er ein großer Verehrer der italienischen Renaissance sei. Ursprünglich hatte Melrose sich gesträubt, doch Jury hatte es für eine gute Idee gehalten, wenn auch für einen Gärtner etwas ungewöhnlich.
»Erzählen Sie einfach, Ihre Mum war Italienerin. Eine italienische Gräfin oder so etwas.« »»Sie hören sich an wie Diane Demorney.«
Woran lag es eigentlich, dass die Tynedales sich alle so ein gutes Aussehen bewahrt hatten? Höchstwahrscheinlich an den Genen. In die meisten Leute über sechzig grub sich das Alter ein wie Draculas Zähne. Er hoffte bloß, wenn er einmal ein Fall für die Geriatrie war, auch nur halb so gut auszusehen wie Ian Tynedale. Soweit er sehen konnte, hatten die Tynedales alle möglichen schlechten Angewohnheiten - sie tranken, rauchten, ernährten sich kalorienreich (der Eindruck hatte sich ihm beim Anblick der crème brûlée aufgedrängt, die die Köchin zubereitet hatte) -, was ihnen aber anscheinend nichts anhaben konnte. Wie tröstlich! Tynedale holte eine Zigarre aus einem schwarzen Humidor und lehnte sich in seinem ledernen Schreibtischsessel zurück. Melrose überlegte: Hegte Ian Tynedale vielleicht den Verdacht, er sei gar nicht der, für den er sich ausgab? Nein, Melrose bezweifelte, dass der andere etwas argwöhnte. Er suchte bloß ein Publikum, dem er seine Neuerwerbungen vorführen konnte. Daraus sprach nur der Kunstbegeisterte; er hätte auch Snowball und Sparky hereingebeten, wenn die das geringste Interesse an italienischer Renaissancekunst an den Tag gelegt hätten.
Darüber ließ Ian sich nun nämlich aus, und Melrose fragte: »Ist das nicht redundant, Sir?«
Ian musterte ihn verwundert. »Inwiefern?«
»Na, italienische Renaissancekunst. Die Italiener hatten die Renaissance doch gewissermaßen gepachtet, nicht?« Das war womöglich alles etwas dick aufgetragen, mutmaßte Melrose, jedenfalls aus dem Munde eines Hilfsgärtners, wenn auch eines übermäßig gebildeten. Er fand sich ganz schön angeberisch und gebot sich Einhalt. »Ich meine, äh, das hab ich irgendwo gelesen.«
Ian schien sich zu freuen, dass er hier einen lesenden Menschen vor sich hatte. »Gutes Argument! Sie haben natürlich Recht. Setzen Sie sich, guter
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