Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
besetzt waren, dass man das Esszimmer ganz für sich hatte.
Weil es ihm nicht gelang, Melrose von seinem Vorhaben abzubringen, ließ Trueblood sich resigniert am Tisch nieder. Das Faktotum vom Rezeptionstisch und ein weiterer junger Mann bedienten sie. Die Bedienung war flink und angenehm, das Essen höchst lecker. Es hätte eine vollkommen entspannte Angelegenheit sein können, wenn Trueblood nicht alle paar Minuten seufzend auf die Uhr geschaut hätte. Melrose achtete gar nicht darauf und machte sich über das hausgemachte Müsli her. »Schmeckt recht gut. Nehmen Sie sich auch!«
»Habe ich. Ich habe vor einer Stunde gegessen.«
»Sie haben schon gegessen und würden mich hier verhungern lassen? Nein, packen Sie den Masaccio nicht schon wieder aus.«
Trueblood fuhr vorsichtig mit dem Daumennagel unter dem Klebeband entlang und klappte das Packpapier so behutsam um, als wäre es der Bezug eines Stubenwägelchens. Er hatte sich ein kleines Vergrößerungsglas zugelegt, das er nun mit einem Klicken aus dem schwarzen Etui beförderte und über die gesamte frei gelegte Fläche des Tafelbildes führte.
»Du meine Güte, Marshall, inzwischen kennen Sie doch jeden Quadratzentimeter dieses Gemäldes in- und auswendig. Wer ist eigentlich dieser Kerl, zu dem Sie mich schleppen wollen? «
»Ein gewisser Luzi. Aldo Luzi. Ein Experte, vielleicht in ganz Italien der größte Experte für die Kunst der Frührenaissance.«
»Tatsächlich? Und was ist mit der Ickley? Sie sagten doch, sie sei die Autorität auf diesem Gebiet.« »War sie damals, damals war sie das.«
»Wovon zum Teufel reden Sie überhaupt? >Damals Das war doch erst gestern. Soll wegen diesem mutmaßlichen Masaccio hier etwa die Reputation einer Sachverständigen in Zweifel gezogen werden?«
Trueblood beäugte ein kleines Croissant und nahm dann einen Bissen. »In Großbritannien ist sie ja auch die Autorität. Ich will damit nur sagen, ich dachte, sie sei der größte Experte auf diesem Gebiet, bis sie mir von diesem Luzi erzählte.«
»Ah!« Melrose legte mit dem Löffel eine kleine Schleife aus Pflaumenmarmelade auf seinen Toast und sagte: »Dann ist >größter< Experte also nicht grenzüberschreitend.«
»Jetzt reden Sie daher wie ein Schwachkopf!«
»Okay. Jedenfalls konnte die Ickley nicht sagen, ob das Bild echt ist, oder?«
»Sie konnte es nicht so oder so beschwören. Sie konnte nicht sagen, ob die Tafel, die Farbe, die Fixierung und so weiter aus dieser Periode stammten.«
»Und die Periode wäre -«
»Frühes 15. Jahrhundert. Sie kennen sich mit der Renaissance doch viel besser aus als ich.«
»Aber nur mit ihrer britischen Spielart.« Melrose machte dem Kellner ein Zeichen, noch Kaffee zu bringen, und Trueblood rutschte mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl tiefer. »Im Grunde gab es eigentlich sonst nirgendwo eine Renaissance. Italien hatte die ganze Sache doch mit Beschlag belegt.«
Trueblood warf ihm einen schneidenden Blick zu, während der Kellner Kaffee nachschenkte.
»Jetzt hören Sie aber auf mit dem Gequassel, ja?«
»Sie klingen genau wie Agatha.«
Trueblood packte den Masaccio wieder ein und wippte ein paarmal frustriert und ungeduldig wie ein Kind auf seinem Stuhl auf und ab.
Melrose lachte. »So kenne ich Sie ja gar nicht. Sie sind ja verbiestert wie ein Vierjähriger, der will, dass seine Eltern aufhören zu essen, damit es endlich los geht. Dann kann er auch los und absolut nichts machen.«
»Also, ich gehe nicht los und mache absolut nichts.«
Melrose seufzte. »Gut, ich bin bereit. Auf zu Brancacci!«
»Bran-kah-tschi, Bran-kati-tschi.« Trueblood sprach jede Silbe getrennt aus, als ob Schludrigkeit in der Aussprache einen Mangel an Respekt offenbarte, der ganz Florenz dazu brächte, die Türen zu verriegeln und ihnen den Rücken zuzukehren. Er erhob sich unvermittelt und steuerte auf die Tür zu.
»Fertig!«, sagte Melrose und warf die Hände hoch. Sorgfältig faltete er seine Serviette zusammen, während Trueblood unruhig in der Tür lauerte.
Sie schritten die Marmortreppe hinunter in die düsteren Tiefen des Hauseingangs. Durch die Tür traten sie auf das mit weißem Licht gesprenkelte Steinpflaster hinaus, während auf der anderen Seite des schmalen Gässchens violette Schatten über den gedrungenen Hauseingängen lagen, argwöhnisch beobachtet von steinernen Tier- und Engelsskulpturen.
Sie schritten voran, Trueblood vorneweg, der sich ab und zu umdrehte und Melrose per Handzeichen antrieb.
Schließlich
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