Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
überquerten sie den Ponte Vecchio, ohne dass Trueblood sich erbarmte, vor den Schaufenstern voller goldener Ketten, Armbänder und Ohrringe eine Pause einzulegen. Die Sachen hätten genauso gut aus der goldenen Wasseroberfläche des Arno gegossen sein können - eine morgendliche Traumszenerie, dachte sich Melrose und wurde alsbald von Truebloods eisernem Griff unsanft in die Wirklichkeit zurückgerissen. Das Einzige, vor dem er bewundernd stehen durfte, befände sich in der Brancacci-Kapelle.
Melrose bestand darauf, einen Blick ins Schaufenster des kleinen Handschuhgeschäfts gleich am anderen Ende der Brücke zu werfen. Nichts als Handschuhe, die in kleinen farbigen Wellen von Türkis, Zitronengelb, Lapislázuli, Kobaltblau und Karmesinrot übereinander lagen! Doch wieder wurde er weggerissen und dachte sich, Trueblood musste tatsächlich völlig überwältigt sein, wenn er eine derartige Gelegenheit zur Ergänzung seiner Garderobe verschmähte.
Die Verlockungen des Ponte Vecchio hinter sich lassend, lief Trueblood wieder voraus und deutete dabei in eine ungefähre Richtung, die sich nach einer Weile als eine Piazza mit Kirche entpuppte.
»Ich habe ganz vergessen, dass die ja auf dem Weg liegt. Es handelt sich um Santa Felicita; sie beherbergt ein Fresko, das wir uns unbedingt ansehen müssen.«
Das Gemälde war eine Verkündigung, und Melrose gefiel der Ausdruck auf Marias Gesicht, mit dem sie sich dem Engel zuwandte, der angeblich wirklich gute Nachrichten überbringen sollte. Es war, als ob sie sagen wollte: Nicht zu fassen, was du da grade gesagt hast.
»Wunderbar«, sagte Trueblood.
»Haben Sie schon mal eine Verkündigung gesehen, auf der Maria aussieht, als wollte sie sagen: >Ey, cool Überlegen Sie mal. So ein Gesicht würde ich wahrscheinlich machen, wenn Agatha mir eröffnet, sie zieht nach Ardry End. Die arme Maria!« Melrose hätte der Jungfrau Maria gern gesagt, sie solle doch froh sein, dass es bloß der Erzengel Gabriel war, der da vor ihr stand und nicht Marshall Trueblood, der nun am unteren Ende des schattigen Kirchenschiffs entschwand.
Als Melrose ihn auf der Piazza wiederfand, sagte Trueblood: »Den Palazzo Pitti können wir uns schenken, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Wenn er nichts dagegen hatte? Er hatte absolut nichts dagegen. Er wollte bloß unbedingt wieder in dieses Handschuhgeschäft.
»Okay. Später.«
»Also, dann los«, sagte Trueblood gereizt und übernahm wieder die Führung. Über die Schulter gewandt, sagte er: »Nächster Halt, Santa Maria del Carmine. Wo die Fresken sind. Die Kirche liegt auf dem Weg zu Luzi.«
Nichts lag auf dem Weg, dachte Melrose, verloren in einem kleinen Labyrinth aus Sträßchen, die wie Durchgänge anmuteten. Als sie von der Via Sant' Agostino in die Via Dei Serragli einbogen, kam plötzlich die Kirche ins Blickfeld -jedenfalls in das von Trueblood, der gleich lostrompetete: »Da ist sie! Sie werden staunen!«
Er straffte die Schultern und hielt sein Bild wie einen Schild vor sich, als wollte er sich gegen allzu viel Staunen wappnen.
Mit gleichgültigem Achselzucken meinte Melrose: »Okay, aber hören Sie, wenn wir hier fertig sind, will ich noch mal in den kleinen Handschuhladen... «
»Handschuhladen? Ich verliere wohl den Verstand?«
Wieder zuckte Melrose die Achseln. »Keine Ahnung.« Er beschloss, dumme rhetorische Fragen von nun an wörtlich zu nehmen. »Ich will Handschuhe, auch wenn Sie keine wollen.«
Während dieses Wortwechsels waren sie in die Kapelle getreten und das Kirchenschiff entlang zu Truebloods ersehnten Fresken gegangen, vor denen sie nun standen. »Melrose, wir stehen hier vor den vielleicht großartigsten Fresken, die je gemalt wurden.«
»Ich weiß, das mit dem Handschuhladen meine ich aber ernst.«
Behutsam löste Trueblood das Packpapier, das an den Faltstellen schon etwas abgegriffen aussah, so dass wie bei einem oft gelesenen Liebesbrief oder dem Strumpfwerk einer Hure Licht durch die ausgefransten Knitterfalten drang. Trueblood hielt das Gemälde hoch und blickte unablässig nickend vom Hl. Wer-immer-er-sein-mochte zum Hl. Petrus empor.
»Sieht aus wie vom selben Maler«, meinte Melrose, »sieht auch nach demselben Stil aus, und trotzdem stellt man sich die Frage -«
»Ich habe mir bereits sämtliche erdenklichen Fragen gestellt.« Trueblood hielt den Blick auf das Fresko geheftet. Melrose musste zugeben, dass der Anblick erstaunlich war. Er hatte schon viele Darstellungen von Adams und Evas
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