Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
sie hier in Brighton in so einer »betreuten Einrichtung« untergebracht war, in der man eigentlich nur deprimiert werden konnte.
Dieser Gedanke ging Jury durch den Kopf, als er vor dem hohen Fenster stand, das direkt aufs Meer hinausging; zinn-bis dunkelgrau war es weiter draußen und ziemlich ruhig heute. Man hatte ihn in diesen Aufenthaltsraum mit dem kalten und gleißenden marmornen Kamin geführt und ihn gebeten zu warten. Die Möbel waren solide, aber recht unscheinbar, dunkelblau und braun, mit wulstig aufgepolsterten Lehnsesseln.
Die Tür ging auf, und Emily Croft trat ein. Sie trug Gelb. Er musste lächeln, denn diese Farbe sah man eher selten. Es war kein blasses Gelb, sondern ein sonnengelbes Kleid mit passender Strickjacke. Emily Croft war dünn, ein wenig eckig, mit ihren Dreiundsiebzig aber immer noch mit glatter Haut und Wangen gesegnet, für die ein Fotomodell zur Mörderin werden würde. Sie wirkte überhaupt nicht gebrechlich und bewegte sich auch nicht, als ob sie krank wäre. Er fragte sich, ob dieses eiserne Durchhaltevermögen, über das sowohl Emily Croft als auch Oliver Tynedale verfügten, vielleicht charakteristisch für diese beiden Familien war.
»Miss Croft.« Er streckte ihr die Hand hin. Aus London hatte er angerufen und das Treffen mit ihr vereinbart. »Zuerst möchte ich Ihnen sagen, wie leid es mir tut mit Ihrem Bruder.«
Man konnte sehen, dass sie geweint hatte, doch die Tynedales und Crofts hatten sich im Griff. Er wusste, sie würde sich keinen Zusammenbruch leisten.
»Superintendent Jury«, sagte sie und nahm lächelnd seine Hand.
»Ihr Kleid gefällt mir wirklich sehr«, brach es aus ihm hervor, und erst nachdem er es gesagt hatte, wurde ihm klar, wie unpassend es war.
Sie lachte, als hätte sie das Kompliment nicht erwartet. »Danke. Gehen wir doch hinaus in den Wintergarten.« Mit dem ausgestreckten Arm deutete sie auf eine verglaste Veranda und ging voran. »Bitte nehmen Sie Platz.«
Die Möbel waren aus weißem Rattan, der Teppichboden aus Si-sal. Hier draußen war die Atmosphäre etwas entspannter und mit der schräg einfallenden Sonne auch viel heiterer. Ein besserer Hintergrund für ein gelbes Kleid.
»Sie wollten mich wegen Simons Tod sprechen.«
»Es tut mir sehr leid mit Ihrem Bruder, das können Sie mir glauben.«
»Mir auch, mir auch.« Ihre Stimmer zitterte und sie sah aufs Meer hinaus, auf das gerade die helle Sonne fiel. Sie räusperte sich. »Simon war ein eher nüchterner, aber ein guter Mensch. Und sehr, sehr klug. Die Vorstellung, dass jemand seinen Tod wollte, ist mir so fremd -«
Sie hielt erneut inne und blickte hinaus. »Seit es passiert ist, habe ich kaum an etwas anderes gedacht. Ich habe mich immer wieder nach dem Grund gefragt. Und keinen gefunden.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Vor etwa drei Wochen. Simon hat versucht, regelmäßig jede Woche hierher zu kommen. Manchmal hat er es nicht geschafft, meistens aber schon. Zusammen mit Marie-France, obwohl sie nicht so oft dabei war. Ian besucht mich auch ab und zu, und ich weiß, Oliver würde auch kommen, wenn der Arzt nicht gedroht hätte, ihm die Füße abzuhacken.« Sie lachte, doch dann brach das Lachen abrupt ab.
»Ich will Ihnen erzählen, was geschehen ist, da Sie sich wahrscheinlich wundern, wieso ich hier bin und nicht in London. Vor etwa fünf Jahren wohnte ich noch allein in Knightsbridge. Als ich dann dieses Herzproblem bekam, riet mir mein Arzt, mir eine Hilfe ins Haus zu nehmen. Das raten sie einem so, als wäre es die leichteste Sache von der Welt, dabei gehört es zu den schwersten. In einer Dreizimmerwohnung mit einer fremden Person wohnen? Ich bitte Sie. Oliver meinte dann, ich sollte ins Lodge ziehen, dort seien Leute um mich und ich hätte aber auch meine Ruhe. Ich hätte zu Simon oder Marie-France gehen können, aber dann wäre es für uns alle aus mit der Ruhe. Das Lodge war ideal, es war perfekt. Wenn man wollte, konnte man dort tagelang herumlaufen, ohne einem anderen zu begegnen.«
Sie hielt inne und griff in die Tasche ihres Kleides nach Zigaretten. Das Hinweisschild mit der Aufschrift BITTE NICHT RAUCHEN drehte sie herum. »Wenn ich das Ding sehe, bekomme ich immer gleich Lust, mir eine anzustecken.«
Jury lachte, nahm ihr Feuerzeug und gab ihr Feuer. Feuerzeuge hatten immer so ein angenehmes leises Ratschen und Klicken.
»Sie waren bestimmt früher Raucher, Superintendent, so sehnsüchtig, wie Sie gucken.«
»Sie haben Recht.«
»Tja,
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