Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Lösegeld weiß.«
»So wie ich ihn kenne, wird die Staatsanwaltschaft wenig Freude an ihm haben, auch wenn sie glauben, sie hätten einen fetten Brocken erwischt. Da täuschen sie sich gewaltig.«
Sie runzelte die Stirn. »Bekommt er dadurch keine Ungelegenheiten? Von Ihnen ganz zu schweigen. Ich weiß, daß Vater das Präsidium in Wakefield angerufen hat -«
»Ich habe dauernd Ungelegenheiten. Zumindest mit meinem Chef.«
»Commander Macalvie ist sehr überzeugend.«
»Sehr.«
»Und hat in der Regel recht?«
»Fast immer.« Möchten Sie’s ihr sagen, Jury. Na los. Vor seinem geistigen Auge sah er die Fotos von dem Jungenskelett. »Fast«, wiederholte Jury. Ihm war übel. Die Versuchung, ihr den Artikel in Time Out zu zeigen, ihr von seinem Lunch mit Charlie zu erzählen, war groß. Nein und nochmals nein; es durfte nicht sein. Teils lag es an Macalvie, teils an etwas anderem. Und dieses Etwas wollte sich nicht fassen lassen.
»Sind Sie gekommen, um mir das zu sagen?«
»Nein. Ich möchte, daß Sie mir erzählen, was geschehen
ist.«
Ist das alles? besagte ihr schmales Lächeln. Sie hatte den Kopf zum Fenster gewandt. Machten ihr die Gitter etwas aus? Wohl kaum. Sie war hier nicht mehr eine Gefangene als an jenem Nachmittag vor einer Woche, als sie dagestanden und den verkümmerten Obstgarten betrachtet hatte.
»Ich habe mich«, sagte Jury, »mit einem Freund über griechische Mythologie unterhalten. Medea, Iokaste, Klytämnestra. Sie kennen doch die Geschichte von
Klytämnestra und Agamemnon? Ich meine, die ganze. Agamemnon gilt immer als der verratene und gemeuchelte Ehemann.«
Daß er diese Geschichte erzählte, schien sie zu belustigen. »Was auch stimmt. Wollen Sie auf eine Analogie mit mir hinaus? Hält Ihr Freund mich für so teuflisch wie Klytämnestra?«
»Er sprach von Ann Denholme.«
Ihre Miene veränderte sich sofort, wurde undurchdringlich.
»Sie haben gewußt, daß Abby ihre Tochter ist. Und Sie haben auch gewußt, daß Roger der Vater ist. Woher, weiß ich nicht, aber Sie haben es gewußt.«
Jetzt lächelte sie wirklich. »Und ich habe ihn in einem Anfall rasender Eifersucht ermordet. Ist es das?«
»Nein. Sie haben ihn ermordet, weil Sie glauben, daß er Ihren Sohn ermordet hat. Und das nicht aus dem Grund, aus dem Agamemnon fast Iphigenie geopfert hätte. In jenem Fall hatten die Götter ihre Opferung verlangt. Glücklicherweise verschonten diese Götter sie in letzter Minute. In Ihrem Fall gab es keine Götter zu besänftigen. Und keine Schonung. Healey war hinter Ihrem Geld her.«
Sie blickte ihn mit offenem Mund an.
»Commander Macalvie hat immer geargwöhnt, daß Sie etwas ahnten, daß Sie Ihren Entschluß, nicht zu zahlen, außerordentlich rasch und bestimmt faßten. Der Entführer mußte jemand sein, mit dem Billy ohne weiteres mitgegangen war; kein Laut, nicht einmal der Hund schlug an. Sie haben nie daran geglaubt, daß man die Jungen mit Gewalt entführt hatte. Aber wer hätte Ihnen das schon abgenommen bei dem makellosen Ruf, in dem Ihr Mann stand, und Ihrer eigenen >ausgeprägten psychischen Labilität Nicht einmal Ihr eigener Vater. Und wer hatte ihm diese Idee in den Kopf gesetzt? Sie sind doch die einzige in der ganzen Familie mit starken Nerven. Natürlich hatten Sie keine stichhaltigen Beweise, daß Roger hinter der Entführung steckte, aber dieser Verdacht, zusammen mit Commander Macalvies Empfehlung, hat zu Ihrem Entschluß geführt.
Eines stand für Sie ziemlich fest: Wenn Sie zahlten, würden Sie Billy nie Wiedersehen. Und Toby auch nicht. Und Sie würden es nie beweisen können«, fügte Jury hinzu. »Aber falls etwas schiefging und Roger aufflog, dann würde Billy ihn identifizieren können. Hatten Sie das einkalkuliert?«
»Roger ist nie etwas schiefgegangen«, war die trostlose Antwort. »Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.«
»Warum haben Sie so viele Jahre gewartet?«
Sie betrachtete ihre Hände. »Ihnen mag das vielleicht -unbedeutend scheinen, aber ein Grund war, daß Billy und Toby >amtlich< für tot erklärt worden waren. Darin lag so etwas furchtbar Endgültiges.«
Als sie schwieg, hakte Jury nach. »Sie sagten >ein Grund<. Gab es noch einen?«
»Ja. Aus diesem Grund habe ich mich mit Roger in dem Gasthaus verabredet. Er hatte mir aus London geschrieben, daß er sich mit mir über Billy unterhalten wolle, und gemeint, es wäre doch >nett<, wenn wir im >Großen Schweigen< zu Abend essen würden.« Sie hob den Blick. »Absolut
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