Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Straße.«
»Etwa die Pinte, an der ich vorbeigekommen bin?«
»Kann sein; sie heißt >Zum großen Schweigen<.«
»Na gut, vielleicht krieg ich ja da einen Happen zu essen.«
Hätte er doch bloß nicht das Gasthaus erwähnt. »Ach, ich ... glaube kaum. Es hat mehr oder weniger zu; es war nämlich der Schauplatz eines Verbrechens.«
Der Krach hörte auf. »Das darf nicht wahr sein.«
Verflixt, hätte er doch nie den Mund aufgemacht.
»Und wieso wollen Sie da hin? Wo doch dicht ist?«
»Ich, nun ja, ich treffe mich bloß mit jemand.«
»Was war’s denn? Was für ein Verbrechen?«
»Vor ein paar Tagen ist dort ein Mann gestorben.«
»Gestorben? Sie meinen wohl ermordet worden, was?«
Und dabei runzelte sie die Stirn, als stünde der Schuldige vor ihr im Mondenschein.
»Nun ja, so könnte man wohl sagen.« Er hatte die irre Vorstellung, als nähme auch der Hund an ihrem Gespräch teil. Der nämlich hatte die Ohren gespitzt und schien genauso erpicht auf Einzelheiten wie die junge Frau.
Die schüttelte den Kopf und verwünschte leise Himmel und Götter. »Du liebe Güte. Na, aus Ihnen ist offensichtlich nicht mehr herauszukriegen.« Unversehens führ ihr Kopf herum. »Sie sind ein Bulle, was?«
»Nein, ganz und gar nicht -«
»Scheiße, da hab ich die ganze Zeit mit einem Bullen gequatscht.«
Der Collie kläffte, als der Motor wieder aufröhrte.
»Hören Sie, ich bin kein -«
»Stranger!«
Der Ruf kam von der Scheune her; Melrose blickte sich rasch um, und da sah er mattes Licht; es kam von einer alten Petroleumlampe, die jemand hochhielt, so daß sie diffuses Licht auf die Erde warf. Die Stimme klang nicht drohend: sie war jedoch so hoch und klar, daß sie den Krach übertönte, den Ellens aufheulender Motor machte.
Der Hund fuhr herum und glitt wie ein Schwimmer durch den Bodennebel auf die Lampe zu, während Ellen fragte: »Wer ist denn das?«
»Ein kleines Mädchen. Sie heißt, glaube ich, Abigail.«
»Wohnt sie da?«
Melrose nickte. Seine Augen folgten der Lampe, die frei in der Luft zu schweben schien, gehalten von einem unsichtbaren Arm.
Ellen trat die Maschine erneut an, sagte »Also dann« und glitt ähnlich wie der Hund davon, jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Er sah ihr nach, die ganze Auffahrt lang, bis sie mit ihrer BMW von der Allee verschluckt wurde. Durch die Bäume konnte er sehen, wie der Mondschein auf dem Stausee schimmerte.
Melrose zündete sich eine Zigarette an, eigentlich mehr um die Flamme aufflackern zu sehen, nicht etwa um zu rauchen.
Als er ins Auto stieg und schnell die Scheinwerfer einschaltete, hörte er schon wieder diese Stimme - Stranger - und das scharfe Hundegebell.
Das Gasthaus »Zum grossen Schweigen« war unweit der Straße nach Stanbury mitten im Moor gelegen. Bruchsteinmauern zogen sich quer über die schwärzliche Heide hin zu den fernen Hügeln mit ihrem typischen Kennzeichen, den niedrigen, verkrüppelten, windschiefen Bäumen. Eine unwirtlichere Landschaft hatte Melrose noch nie gesehen. Die Straße führte durch eine Bodensenke auf das Gasthaus zu, das ebenso von der Welt abgeschnitten und freischwebend wirkte wie der Hof, den er gerade verlassen hatte.
Als er auf den Parkplatz fuhr, sah er das Gasthaus in etwas wirklicherem Licht: ein gepflegtes, weißgetünchtes Gebäude mit schwarzem Fachwerk und einem Hof, auf dem bei besserem Wetter gewiß Tische standen. Kaum zu glauben, daß dies der Schauplatz eines Verbrechens gewesen sein sollte. Doch dieser Umstand sowie die vierundzwanzigstündige Schließung schienen das Lokal mittlerweile berühmt gemacht zu haben. Der Parkplatz war gegen zweiundzwanzig Uhr noch gerammelt voll. Durch die Fenster, die wie Bernstein schimmerten, sah er, wie sich die Gäste an der Theke drängelten.
Drinnen war es heimelig und nach der Landschaft, die er gerade durchquert hatte, wieder herrlich normal. Melrose wanderte mit seinem Bier durch die Lounge, wo es einen schönen steinernen Kamin gab, über dem ein Gemälde des Gasthauses hing.
Er wartete auf Jury; studierte im flackernden Schein des Feuers und der beschirmten Lämpchen die Bilder, den Messingzierat und einen Bericht über die Herkunft des Namens »Zum großen Schweigen«. Melrose seufzte. Eine weitere Mär über Bonnie Prince Charles. Auch dieses Gasthaus gehörte zu den historischen Stätten, die Charles Zuflucht geboten hatten und (in diesem Fall) auch die Verschwiegenheit der Einheimischen. Angesichts all der Zwischenstopps, die der Prätendent
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