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Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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über Berg und Tal / Die Wolke in der Höhe streicht ...«
    »Seh ich aus wie eine Wolke, Sir?« Grimmig schob er ein Dutzend Gläschen in eine Tasche.
    Kleider hatten in Wiggins’ Koffer nichts zu suchen.
    Es stimmte, Thomasina Thale wohnte in einem »vornehmen« Haus - in einer imposanten Backsteinresidenz an einem der besseren Plätze in Earls Court -, aber es gehörte ihr nicht. Ihr gehörte nicht einmal der kleine Teil des Hauses, den sie bewohnte, es handelte sich um eine Mietwohnung im zweiten Stock, ohne Fahrstuhl.
    Das war nicht das einzige in Plants Bericht, das von der Wahrheit abwich: »Tante Tom« war keine ältliche »viktorianische« Dame. Sie war Mitte dreißig, hatte ein hübsches, ungeschminktes Gesicht, wunderschönes kastanienbraunes Haar und (wie Jury sah, als sie durch den kurzen Flur vor ihm herging) ein geschientes Bein. Sie hinkte.
    Die Leute nannten sie »Tommy«. Als sie Jury und Wiggins bedeutete, Stühle in das Wohnzimmer mitzunehmen, dessen Fenster auf einen kleinen Park hinausgingen, lachte sie über den Spitznamen, den ihre Nichte für sie auserkoren hatte.
    Als Jury (wirklich verblüfft) die Beschreibung Plants in dem Bericht wiederholte - die Beschreibung einer zugeknöpften Dame mit ehernem Blick, die (buchstäblich) die Peitsche über allem schwang -, lachte Tommy Thale noch lauter. Ein volles, wirklich ungezwungenes Lachen, wunderbar, wenn man bedachte, was für ein eingeschränktes, entbehrungsreiches Leben sie führen mußte. Doch als Jury das Zimmer sah, die gestickten Kissen und Stühle mit Petit-pointStickerei, und die Wärme spürte, die die Fransenlampenschirme und der elektrische Kamin ausstrahlten, dachte er, daß Tommy Thale zu den Menschen gehörte, die nie den Mut verlieren und ein Glas immer als halb voll und nicht als halb leer bezeichnen, dankbar dafür, daß sie nicht verdursten müssen.
    Mit den Handballen wischte sie sich die Lachtränen aus den Augen. »Na ja, das mußte sie wahrscheinlich erzählen. Die hätten sie sonst sicherlich hergeschickt. Hierher nach London, damit sie bei mir lebt. Wahrscheinlich hat sie die Geschichte für den alten Adam erfunden. Er mag Millie sehr, fast so sehr wie Alex. Er hätte nie zugelassen, daß sie ihr was zuleide taten.«
    »Die Familie Holdsworth. Haben Sie sie kennengelernt?«
    Wieder lachte sie, mit der Hand drehte sie den Stock hin und her und sagte: »Das wäre ja wohl kaum möglich gewesen, oder? Nicht mit Stiefeln und Peitsche. Klingt ja wirklich ein bißchen nach S/M.«
    »Wie bitte, Miss?« Wiggins guckte verwirrt.
    »Sadomasochismus, Sergeant.«
    »Ach, ja. Wir von der Mordkommission haben damit nicht soviel zutun.«
    »Das will ich hoffen.«
    Jury lächelte über ihren Versuch, ernst zu bleiben. Es war das erste Mal seit Tagen, daß auch ihm wieder einmal nach einem Lächeln zumute war. Die Standhaftigkeit, mit der sie ihr Schicksal ertrug, relativierte sein eigenes Unglück.
    Sie fuhr fort: »Aber durch Millies Briefe weiß ich über alle dort Bescheid. Sie schreibt Briefe wie verrückt - wer weiß, ob alles wahr ist, was sie schreibt? Und von Annie habe ich auch einiges erfahren. Als sie noch lebte.« Nun sah Tommy traurig aus. Es gab Schicksale, die schlimmer waren als das ihre.
    »Aber warum will sie nicht bei Ihnen leben?« fragte Jury. »Warum will sie an einem Ort bleiben, wo sie soviel arbeiten muß - das hat mir zumindest mein Freund erzählt - und vom übrigen Personal ziemlich gemein behandelt wird und nicht einmal die Familie mag. Außer dem alten Mann und ... Jane Holdsworths Sohn. Alex heißt er, glaube ich.«
    »Deswegen sind Sie ja wohl hier. Wegen Jane Holdsworth? Ich hab davon gelesen, und bitte verzeihen Sie, aber hatten Sie nicht was mit ihr zu tun?«
    »Ja.« Er konnte den barschen Ton nicht verhindern. Es klang wie: Halt dich da raus!
    Wiggins blickte abrupt auf und wandte sich dann wieder seinen Notizen zu.
    Tommy Thale sah Jury lange an. »Tut mir leid. Sie sollten wahrscheinlich die Fragen stellen, nicht ich. Zu Millie. Millie bleibt wegen ihrer Mutter da. Also wegen meiner Schwester, Annie. Darüber wissen Sie Bescheid, nehme ich an.« Jury nickte, und sie fuhr fort: »Alle haben Millie erzählt, es sei ein Unfall gewesen, sie sei ertrunken, obwohl ich bezweifle, daß das irgendwer geglaubt hat, auch nicht die Polizei. Millie ist entschlossen zu bleiben.« Ihr Blick huschte zu einer Bildergruppe auf einem runden Tisch mit einer Spitzendecke. »Das arme Ding. Wie ein kleiner Geist, der am

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