Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
offensichtlich recht gut.«
»Ja. Wir waren sehr befreundet.«
Nun wurde Jury direkter: »Hatte sie - hatte sie eine Affäre mit Maurice Kingsley?«
Helen Viner war keineswegs schockiert. »Kann ich mir nicht denken. Ich kann sie mir nicht zusammen vorstellen.« Der Gedanke schien sie zu amüsieren. »Ich weiß, daß er an dem Abend dort war. Gestern war die Polizei hier. Verständlich, daß Maurice darüber aufgebracht war; er hat sich auf der Dinnerparty bei den Holdsworths ganz schön betrunken.« Sie zuckte die Schultern. »Aber warum, um Himmels willen? Eifersucht?«
Zum erstenmal war Jury sehr froh, daß er Pete Apted getroffen hatte, froh, daß Apted ihn überzeugt hatte, daß Jane sich wirklich selbst getötet hatte. Das allein war schon verdammt schwer genug zu verdauen; der Gedanke, daß sie auch noch mit jemand anderem zusammengewesen sein sollte - jemandem wie Kingsley -, wäre noch grausamer gewesen, ein anderer Verlust, eine nagende Enttäuschung. »Ich weiß es nicht. Ich wüßte nicht, was Dr. Kingsley für ein Motiv gehabt haben sollte. Ich habe natürlich noch nicht mit ihm gesprochen, aber die Polizei hier ist auf kein Motiv gekommen. Ich glaube nicht, daß er es getan hat.« Er schwieg. »Ich glaube nicht, daß es überhaupt jemand getan haben könnte.«
Das wiederum überraschte sie aus irgendeinem Grunde. Abrupt wandte sie sich vom Fenster ab, nachdem sie die Vorhänge zugezogen hatte. Sie öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus.
Jury lächelte. »Also vermutlich brauchen Sie das Alibi nicht.«
Zurück an ihrem Schreibtisch runzelte sie die Stirn. »Was für ein Ali - oh!« Das Lächeln kehrte zurück. »Das hatte ich vergessen. Ich habe in der Tat mit Freunden in Kendal zu Abend gegessen.«
»Kamir - Inspector Kamir - hat das schon überprüft. Sie kennen die Holdsworths schon länger?«
Sie nickte und wandte den Blick wieder zu dem Baum, dessen Zweige immer noch gegen das Fenster klopften. »Gespenster«, murmelte sie.
Stumm wartete er darauf, daß sie weiterredete.
»Zehn Jahre. So lange bin ich schon hier. Ich habe die erste Mrs. Holdsworth gekannt, Virginia. Ich muß gestehen, ich mochte sie sehr viel lieber als die zweite. Ginny war eine angenehme, lebendige, wirklich reizende Person. Sie mochte die Gegend hier, Genevieve nicht. Keine echte Seenliebhaberin, glaube ich jedenfalls nicht.« Sie verzog den Mund zu dem langsamen, entwaffnenden Lächeln. »Ginny ist furchtbar gern gewandert. Unglücklicherweise.« Sie senkte den Kopf.
»Annie Thale?«
Da hob sie den Kopf wieder. »Annie? Wie kommen Sie denn jetzt auf die?«
»Das erklärt sich von selbst, würde ich meinen.«
»Verzeihung, da komme ich nicht mehr mit; für mich erklärt sich das keineswegs von selbst.«
»Es ist noch ein Unfall. Sehr ähnlich dem von Mrs. Holdsworth.« Sie sagte nichts dazu, und so redete er weiter. »Dr. Viner! Zwei Selbstmorde, zwei Stürze.«
»Ja, es ist tragisch. Besonders für Alex. Beide Eltern ... natürlich glaubt Alex nicht, daß sich seine Mutter das Leben genommen hat. Er kann es einfach nicht glauben.« Nun senkte sie den Kopf wieder.
»Ich wüßte gern etwas über seinen Vater. Was Sie wissen.«
Sie schüttelte den Kopf.
Jury sprang auf. »Gut. Dann lasse ich Ihre Unterlagen beschlagnahmen, Dr. Viner.«
Sie erhob sich, spreizte die Hände auf dem Tisch, beugte sich zu ihm vor. »Mein Gott! Lassen Sie doch den armen Mann in Ruhe !«
Jury blieb stehen. »Homosexualität ist keine Schande mehr, heutzutage nicht mehr.«
Sie öffnete den Mund, starrte ihn an und ließ sich dann schwer in ihren Stuhl fallen. »Wo haben Sie das denn gehört?« fragte sie sanft und ruhig.
»Von Annie Thale. Das heißt, von ihrer Schwester.«
Helen Viner war völlig perplex. »Millies >Tante Tom Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Und ob das mein Ernst ist. Sie müssen gewußt haben, daß Holdsworth sich der Köchin Annie anvertraute und sie sehr gern mochte. Aber sie mochte ihn noch viel lieber.«
Das Schweigen dehnte sich aus, die Zweigenfinger klopften an die schwarze Scheibe. Helen Viner legte den Kopf in die Hände. »Schon gut. Ja. Graham wurde die meiste Zeit seines Lebens von seinen Gefühlen gequält. Er war homosexuell, vielleicht bisexuell - bestimmt hatte er eine sexuelle Beziehung mit Jane. Aber er konnte sie nicht fortführen.« Sie nahm die Hände wieder herunter.
»Und Annie: War sie so verliebt in ihn, daß sie ihr Leben nicht fortführen konnte?«
»Ich hätte sie viel
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