Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
gesagt; unser Gespräch war sehr kurz.« Melrose fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Ich nehme an, sie ist bei ihm in Behandlung, aber ich weiß es nicht genau. Es war alles - sehr geheimnisvoll. Ich meine, wie sie es angestellt hat. Ich hatte das Gefühl, mitten in einem Spionageroman zu sein.« Er beschrieb das Zimmer, den Spiegel, die Handtasche.
Jury sagte nichts.
»Hören Sie, es tut mir leid wegen Jane Holdsworth.« Melrose wischte mit einer zusammengeknüllten Serviette an den nassen Ringen herum, die das Glas hinterlassen hatte.
»Mir auch. Danke«, sagte Jury ernst. Dann nahm er die Klammer von den Briefen.
»Alex hat gesagt, Kingsley war an dem Abend vor dem Haus. Glauben Sie, er wollte die hier zurückholen? Aber warum sollte er wegen der Briefe ein solches Risiko auf sich nehmen?«
»Wieso sind Sie so sicher, daß er sie geschrieben hat?«
»Wahrscheinlich, weil sie in seinem Büro waren. Versteckt, soweit ich verstanden habe. Aber sehen Sie sie sich doch an - sie sind so ... verschlüsselt. Man versteht zum Beispiel gar nicht, was für eine >Krankheit< da gemeint ist. Homosexualität etwa?«
»Warum sollte Maurice Kingsley darüber schreiben? Und warum soll er sich über ihre zerrüttete Ehe Sorgen machen, wenn er sie selbst will? Man sollte doch meinen, er wäre erleichtert.«
»Sie sind so verschlüsselt, jeder hätte sie schreiben können - Kingsley, Fellowes - sogar Crabbe oder George. Oder ein Mann, von dem wir nichts wissen. Aber wer tippt Liebesbriefe?«
»Wenn es Liebesbriefe sind. Der Schreiber wollte nicht, daß die Handschrift analysiert werden kann - sollte es je dazu kommen.«
»Auch Schreibmaschinen haben charakteristische Merkmale. Aber was ist mit Computerausdrucken? Wenn die Programme gleich sind? Madeline hat einen IBM und Castle Howe auch, hat sie mir gesagt.«
»Egal, schauen Sie mal, wie kurz die alle sind. Sie können auf, sagen wir, Madeline Galloways Computer von jemandem aus Castle Howe getippt worden sein; oder auf einem in Castle Howe von einer Person aus Tarn House. Mist. Egal, wer es war, er hat an alles gedacht. Keine Handschrift, keine Unterschrift. >Du weißt, was ich empfinde - aber ich würde nie so weit gehen, Eure Ehe zu gefährden< - das kann alles bedeuten. >Empfinden< kann sowohl Wut als auch Liebe bedeuten. Und wir wissen nicht, was diese Person mit Grahams >Krankheit< meint. Nach dem, was Tommy Thale mir erzählt hat, muß ihre Schwester nicht zwangsläufig Bescheid gewußt haben. Obwohl ich jede Wette eingehe, daß dem so ist.«
Jury steckte alle Briefe wieder in ihre Umschläge, stapelte sie und klemmte sie zusammen. Dann drehte er sie um. »So hat Lady Cray sie Ihnen gegeben?«
»Ja.«
»Die Klammer ist garantiert noch keine fünf Jahre alt. Die sieht neu aus. Ich frage mich, wer entfernt hat, was sie vorher zusammengehalten hat?«
Plant runzelte die Stirn. »>Zusammengehalten?<«
»Man kann die Dellen an den Seiten sehen. Und daß die Schrift oben heller ist. Mit irgend etwas waren sie zusammengebunden. Sie hat sie nicht gelesen?«
»Nein, sie hat gesagt, nein. Adam auch nicht.«
»Glauben Sie ihr?«
»Ja.« Melrose saß da, betrachtete die Briefe eine Zeitlang und sagte dann: »Ich glaube, wir sollten mit Alex reden, er hat gesagt, daß irgend etwas im Zimmer seiner Mutter gefehlt hat, vielleicht ist es ja das hier.«
Das folgende Schweigen wurde plötzlich von Melrose gebrochen: »Mon amour premier.«
Jury beugte sich vor und sah ihn genau an. »Was meinen Sie? Sie sehen zerstreut aus.«
»Treffen Sie manchmal Menschen, äh, Frauen, die Sie an andere Frauen, äh, erinnern?«
»Helen Viner. Mir ist aufgefallen, daß Frauen einen oft an die eigene Mutter erinnern. Klingt verdammt albern.« Melrose lachte verlegen.
»Warum albern? Ist das die >erste Liebe<, die Sie gemeint haben?«
»Ich mag es nicht, wenn meine persönlichen Gefühle in einem Fall verhackstückt werden. Na ja, für Sie ist es sogar noch schlimmer. Die ganze Sache muß zum Gotterbarmen sein.« Er schob sein Glas zur Seite. »Lassen Sie uns einen Wein trinken. Chablis Contemptible.
Neunzehnhundertneunzig ist ein guter Jahrgang. Was meinen Sie?« fragte Melrose Jury nachdrücklich. »Ich schlafe heute nacht hier. Es gibt noch ein Zimmer.«
»Dann sehen Sie zu, daß Connie Fish Ihnen nicht noch mal zwei Pfund für die eigene Toilette auf dem Flur berechnet.«
Jury saß da und drehte die Briefe immer wieder um, während Melrose den Wein holte. Er brachte auch zwei
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