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Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verneinte. Der war tot. Was gab es für Verwandte? Zu welchen Verwandten seiner Mutter konnte er gehen? Galloways gibt es nicht, sagte Alex mit Blick auf den Nachttisch mit der geblümten, bodenlangen Decke und den vielen gold- und silbergerahmten Bildern der Lebenden und Toten: der Großeltern mütterlicherseits, der Tanten und Onkel, der Cousinen und Cousins, von denen nur noch zwei lebten, und zwar in Australien. Alex hatte sie nie gesehen, nur seine Tante Madeline, aber die wohnte bei den Holdsworths. Es gab eine entfernte Cousine, zu der er notfalls gehen konnte. Falls er die geringste Absicht verspürte, überhaupt irgendwo hinzugehen. Verspürte er aber nicht.

Dann die Holdsworths. Inspector Kamir würde nicht rasten und ruhen, bis er den Jungen versorgt und sicher in den Händen eines Menschen wußte, der bereit war, ihm Mitgefühl und ein Dach über dem Kopf zu geben.
    Alex schüttelte den Kopf. Er nahm eine Schachtel mit Papiertaschentüchern und legte sie sich auf den Schoß, als würde er sie bald brauchen.
    Die Großeltern, haben Sie gesagt, leben in Cumbria. Das schien Kamir zufriedenzustellen. Ohne Alex’ Hilfe überlegte er, wo man den Jungen unterbringen konnte ...
    Jedenfalls nahm Alex an, daß Inspector Kamir das im Kopf herumging. Er hielt sich heraus, weil es den Anschein hatte, als täte es zumindest dem Polizisten gut; Alex nämlich nicht.
    Ein Polizeifahrzeug würde Alex in den Lake District bringen, oder vielleicht wollten ihn die Holdsworths lieber abholen. Fand Alex diesen Plan annehmbar, ja?
    »Ja. Kann ich jetzt aufs Klo?«
    Das Oberlicht im Badezimmer war öl- und dreckverschmiert. Alex stieß es auf und sah auf die schmale Mondsichel hoch oben.
    Er nahm den Porzellandeckel von der Taschentuchschachtel, zog die Hälfte der Taschentücher heraus, nahm die kleine Automatik und das Magazin und wickelte sie ein. Den Rest stopfte er wieder in die Schachtel und legte den Deckel darauf.
    Er ließ die Waffe in seine Jackentasche gleiten.
    Dann zwängte er sich durchs Fenster aufs Dach, diese Übung beherrschte er meisterhaft. Allerdings hatte er bisher noch nie fliehen müssen, sondern immer nur der Schwerkraft trotzen wollen. Das Dach war wie alle anderen hier sehr steil und mit groben Schiefern gedeckt. Und heute abend auch naß.
    Er wäre nie auf die Idee gekommen, daß seine Oberlichteskapaden zu etwas anderem von Nutzen sein könnten, als sich an dem alten Schornstein festzuhalten und die Sterne zu betrachten. Alex kommunizierte aber weder mit den Sternen noch überhaupt mit den Elementen der Natur. Das tat er schon zur Genüge, wenn er seinem Großvater zuhörte, der sich endlos über die Dichter des Lake District ausließ. Die Natur war eine Sache, mit der man auf einer praktischen Ebene umging, etwa wenn sich die Frage stellte, ob sein Favorit bei den Aintree-Rennen mit der schlammigen Bahn zurechtkam. Die Natur war etwas, das es zu überwinden galt. Wordsworth hatte in Alex’ Augen so manche günstige Gelegenheit verpaßt, indem er sie einfach nur totredete.
    Fünfzehn Minuten später war Alex über zwei Dächer gesprungen, an dem stabilsten Fallrohr hinuntergeklettert (es war aus Kupfer), saß nun in dem kleinen Privatpark gegenüber und beobachtete einen Polizisten auf dem Dach und zwei weitere, die aus der Haustür gerannt kamen. Drei Autos standen quer auf dem Bürgersteig, der Platz vor dem Haus war abgesperrt, und mindestens ein Dutzend Leute standen fasziniert hinter dem Plastikband. Bevor der Krankenwagen durch den Regen weggefahren war, waren es sogar noch mehr gewesen.
    Der Regen hatte aufgehört. Alex hatte die Regenjacke ausgezogen und eine Kappe aufgesetzt, um sein Aussehen leicht zu verändern, für den Fall, daß die Polizisten den Park absuchen würden. Es war jedoch der letzte Ort, an dem sie suchen würden, ihrer Meinung nach war der Junge entweder nach rechts oder nach links die Straße hinuntergelaufen. Genau so fuhren jetzt die beiden Autos davon, die Lichtkegel malten Regenbögen auf die ölig glänzenden Bürgersteige.
    Er legte sich ans Ende einer von zwei grünen Parkbänken, die andere war schon von einem schlafenden Betrunkenen besetzt. Er hatte sich mit einem Regenmantel zugedeckt, den er gestohlen haben mußte, denn er sah nicht billig aus.
    Alex lag unter seiner Jacke, den Schirm seiner Schulmütze tief, aber nicht zu tief in die Stirn gezogen. Er wollte die Straße im Auge behalten.
    Nur zwei alte Penner, die ihren Rausch ausschlafen, würden die

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