Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
Polizisten denken, wenn sie es überhaupt für nötig hielten, im Park zu suchen. Mit denen brauchen wir uns nicht weiter zu beschäftigen.
Seine Grosseltern hätten auch nichts davon. Es sei denn, sie schlossen ihn im Haus ein, dem »seiner Ahnen«, wie sie immer betonten. Glaubten sie wirklich, er würde nun bei ihnen leben?
Trotzdem, er konnte sich an Sommertage im Lake District erinnern und den Zauber des mit Schaumkronen besprenkelten Sees, den Forellenbach, die Wasserfälle, die unglaublich blauen, glasklaren Flächen und den weiten hohen Nordhimmel, als er - wie alt, sieben? acht? gewesen war. Es war wundervoll, er konnte losrennen, quer übers Land, die Arme ausgestreckt, die Augen geschlossen, einen Terrier auf den Fersen, ohne Angst haben zu müssen, irgendwo anzustoßen, in Zäune zu krachen oder gegen Bäume zu laufen. Er liebte die große Leere dort, sie schien etwas in ihm selbst zu entsprechen, als ob er (dachte er jetzt, als er über die Straße starrte) dort draußen endlich eine Landschaft gefunden hatte, in die er aus der Landschaft in sich selbst flüchten konnte. Dort draußen war es kühl, trocken, weithin hell, frei. Er hätte immer und ewig rennen können.
Und sein Urgroßvater war da, den er liebte. Und Millie ...
Inspector Kamir stand auf der Treppe und sprach mit einem der Polizisten. Er sah die Straße hinauf und hinunter, als erwarte er, daß Alex vorbeispaziert käme. Ein weiteres Auto fuhr weg, also blieb nur das Auto des Inspektors. Es war ruhig geworden auf der Straße. Die Schaulustigen hatten sich vor den Fernseher oder sonstwohin zurückgezogen. Alex blickte auf seine Hände; er hatte das Gefühl, als könne er sie nicht auseinandernehmen, als trage er Handschellen und brauche einen Schlüssel.
Das Kleiderbündel auf der Nachbarbank bewegte sich, stöhnte und fluchte.
Warum fuhren sie nicht ab, die Polizisten? Verzogen sich und überließen das leere Haus ihm, damit er mit seinen eigenen Untersuchungen weitermachen konnte. Warum verschwanden sie nicht mit ihrem blöden Puder, den Aufnahmen, Notizbüchern, Meßbändern, Kreidemarkierungen und Schlußfolgerungen? Vor seinem geistigen Auge sah er den Bericht des Arztes. Vermutlich Einnahme einer hohen Dosis Barbiturate. Selbstmord.
Als der Betrunkene sich aufsetzte und »O Gooott« jammerte, wandte Alex seinen Blick von der Treppe ab.
Dann sah er, wie sich die beiden Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite in ihre Richtung drehten, und flüsterte seinem Nachbarn zu, die Klappe zu halten!
Als der Mann mit dem Kopf herumfuhr, wobei das Zeitungspapier raschelte und der Mantel herunterfiel, sah Alex, daß er nicht der typische Parkbanksäufer war. Er trug einen Abendanzug - ein Wrack von einer Smokingjacke, die schwarze Fliege hing ihm halb ums Ohr, der Kragen stand auf.
»Auch versetzt worden? Ich sag mir immer wieder, daß ich nie mehr zu den Parties von diesem Idioten gehe.« Dann fiel sein Blick auf Alex’ Blazer und Mütze. »Was sind das denn für Klamotten? Bißchen jung für Kneipentouren, oder? Hast du ’ne Fluppe? Oder schnupfst du?«
Alex hatte keine Lust zu antworten. Er beobachtete, wie die beiden Polizisten die Treppe hinuntergingen. Wenn sie vorhätten, den Park abzusuchen, würden sie zielstrebiger gehen.
»Aber natürlich muß der Junge hierbleiben, Jane. Er sieht so abgemagert aus .«
Sie hatten am Eßtisch gesessen - seine Mutter, sein Großvater und seine Stiefgroßmutter (die er Großmama nannte, um sie zu ärgern), sein Onkel George und Madeline Galloway, die Schwester seiner Mutter.
»Meint ihr nicht auch?« Genevieve Holdsworths Frage war an alle Versammelten gerichtet. »Alex muß wirklich aus der Stadt heraus.«
Das war vor fünf Jahren gewesen, abwechselnd hatte er seinen Teller und den schwarzen Terrier unter dem Tisch angesehen.
»Ich finde nicht, daß er abgemagert aussieht, und dünn erst recht nicht, mein Gott, bei der ganzen Blutwurst, die er hier verdrückt«, hatte seine Mutter selbstsicher gesagt, obwohl sie gesehen hatte, wie er das schreckliche Zeug an den Terrier verfütterte.
»Nein«, hatte er zu Genevieve gesagt. »Ich hab zuviel zu tun.«
Er und seine Mutter bewegten sich auf einer eigenen Ebene. Nicht, daß auf dieser Ebene sonst niemand war, aber Alex kannte keinen von ihnen. Er war nicht romantisch; um zu einer Rennbahn zu kommen, würde er über ein ganzes Feld Osterglocken trampeln. Und ganz bestimmt konnte er sich so lange zusammenreißen, bis er herausgefunden
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