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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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musste sie schneidern.
    Und Vesper mochte es, die kleine Greta abzuholen. Sie hatte immerzu das Gefühl, etwas Ehrenhaftes zu tun, was vermutlich daran lag, dass ihr das Mädchen das Gefühl gab, sie würde sie aus einer misslichen Lage erretten.
    Sie nahm den nächsten Bus bis zum Hamburg-Museum am Holstenwall und sprang dort in den Regen hinaus. Wie ein feiner Nebel hatte sich der Nieselregen über die Stadt gelegt und berührte die immer früher hereinbrechende Dämmerung so zärtlich wie ein Liebhaber seine heimliche Angebetete.

    Das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, tat gut.
    Sie überquerte die Straße und lief zum Kindergarten. An einer Laterne blieb sie stehen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, dass da jemand stand; jemand, der sie beobachtete.
    Doch als sie durch den Regenschleier blickte, erkannte sie nichts außer den gewöhnlichen Passanten, die hektisch auf den breiten Gehwegen dem Feierabend entgegeneilten.
    Kurz musste sie an die Gestalt am Hafen denken, doch dann war der Gedanke auch schon wieder verschwunden.
    Mädchen, weich vom Wege nicht.
    Sie hüpfte beschwingt an den Pfützen vorbei, und schließlich erreichte sie den Kindergarten.
    Das flache Gebäude mit dem dichten Pflanzenbewuchs auf dem Dach wirkte heimelig und warm. Drinnen roch es nach hellem Holz und den vielen Kindern, die laut umhertollten, auf großen Matratzen ihre Turnübungen absolvierten, durch Häufchen von Bauklötzen krochen oder ein wenig apathisch Mandalas ausmalten.
    Die Leiterin der Einrichtung schnellte aus ihrem Büro, das gleich neben dem Eingang lag, und begrüßte Vesper, sobald sie drinnen war. »Ah, Fräulein …«
    »Gold«, half Vesper ihr auf die Sprünge. Der Name der Leiterin stand auf dem Schild neben ihrem Büro: A. Wark.
    »Sie sind da, um …?«
    »Greta abzuholen«, erklärte sie. »Greta Veidt. Samt der Läuse, wenn sie denn wirklich welche hat.«

    Frau Wark wirkte mit einem Mal sehr grimmig. »Wir haben sie eingehend untersucht.«
    »Sie selbst?«
    »Nein, das war Kristina. Sie kennen sie, sie arbeitet in Gruppe drei.«
    Vesper nickte nur, setzte ein seriöses Gesicht auf. »Kristina ist die brünette Dame mit den blondierten Strähnen, die immer ein wenig teilnahmslos in der leeren Spielecke sitzt.« Sie lächelte freundlich. »Die nur darauf wartet, dass sie ein Kind nach Hause schicken kann.«
    »Was erlauben Sie sich …«
    Vesper machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kann natürlich sein, dass ich mich irre.«
    »Das tun Sie. Wir alle hier sind sehr gewissenhaft, was diese Sache angeht.«
    »Entschuldigen Sie, das glaube ich natürlich sofort.«
    »Wir haben Nissen gefunden, einen Zentimeter über dem Haaransatz. Fünf Nissen.«
    »Ganze fünf?« Ein neuer Rekord. »Also keine Läuse.«
    »Nissen weisen auf Lausbefall hin.«
    Ach, herrje! »Keine Laus kriegt ihren Arsch hoch genug, um in einem Zentimeter Höhe ein Ei zu legen.«
    Die Erzieherin bedachte sie mit einem skeptischen Blick. »Denken Sie daran, die Kleine muss unbedingt zu einem Arzt.« Offenbar hatte sie keine Lust mehr auf ein weiteres Gespräch.
    Vesper starrte die Frau in den Boden.
    Schließlich sagte Frau Wark: »Ich rufe dann mal Greta.«

    »Bitte«, erwiderte Vesper nur.
    Und wartete.
    Erst als Greta um die Ecke gefegt kam, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
    »Vesper!«, schrie die Kleine freudig, beschleunigte und ließ sich hochheben.
    »Hallo, Greta.«
    Die Kleine, die rote Zöpfe trug und wie das winzige Abbild ihrer Mutter aussah, ließ sich von Vesper absetzen, umarmen und begann plötzlich zu weinen. »Ich habe Läuse. Sagt Krista.«
    »Wo ist Krista denn jetzt?« Die Frage war an die Leiterin gerichtet.
    »Ihre Schicht endete vor einer halben Stunde.«
    Vesper wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Krista ist die große Frau mit den schlechten Zähnen, die nach nasser Katze riecht?«
    Die Kleine nickte eifrig. Dann erklärte sie ernst: »Ich musste sogar ins Stille Zimmer.« Tränen standen ihr in den großen Augen.
    Vesper sah die Leiterin böse an.
    »Wir müssen die infizierten Kinder von den anderen trennen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.«
    »Schon klar«, murrte Vesper. Die Infizierten , na klasse! Sie umarmte Greta ganz fest und ganz lange. Ihr Haar roch nach Stroh und der Turnmatte. »Die sind nur so böse zu dir, weil sie hässlich sind. Und du bist so schön, so wunderwunderschön.« Die Kleine lächelte zögerlich. »Hey, du siehst aus wie eine Prinzessin.« Wie eine
Prinzessin

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