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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Richtung des, na ja, hoffentlich Selbsterschossenen, getreten. Ich tauche durch die Papierflut. Ich fühle ein Stuhlbein, ein Menschenbein, endlich etwas Metallisches. Meine Lampe. Ich ergreife sie, reiße sie an mich, tauche auf und will schon zur Ausgangstür stürzen. »Heilige Scheiße!«
    Ein Aufschrei des Schreckens aus meinem Rachen. Der Tote greift nach mir. Mein Blutkreislauf vollführt eine 180-Grad-Wende. Olsen blickt zu mir und nimmt wahr, dass der tote Mann nach meiner Taschenlampe greift.
    Olsen fällt in Ohnmacht. Vielen Dank für die Hilfe, du bist mein bester Freund.
    Ich ziehe und zerre an meiner Taschenlampe. Ich schreie wie die fünfjährige Doreen, die wir in der Nachbarschaft in Uelzen immer mit Regenwürmern beschmissen haben. Der hartnäckige Bursche lässt nicht los. Was will er von meiner Taschenlampe? Mit ausgestrecktem Arm fummelt er an mir, sein Oberkörper hängt waagrecht wie ein Katamaran über dem Papiermeer. Sein Hut scheint auf dem weißen Haar zu kleben. Strähnen wehen im von dem Kampf aufgewirbelten Wind. Ich schaue auf meine Taschenlampe herab, da sehe ich, dass sein Zeigefinger der rechten Hand im Abzug meiner Taschenlampe eingeklemmt ist. Es dauert einige Sekunden, bis ich mich frage, was ein Abzug an meiner Taschenlampe soll.
    Nichts nämlich.
    Mein Gesicht wird aschfahl und hochrot gleichzeitig. Die Hand des Toten lässt endlich los. Der Leichnam sackt vom Stuhl zu Papier.
    Ich habe eine Pistole in der Hand. Da sie blutverschmiert ist, wird es wohl die Tatwaffe sein. Deutlich erkennbare Fingerabdrücke meiner rechten Hand auf einer blutverschmierten Waffe, die, so würde ich es einschätzen, ein Fabrikat aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Ich habe Gardinen vor Augen und muss an Schweden denken.
    »Heilige Scheiße.« Das habe ich vorhin schon gesagt, aber manche Dinge kann man nicht oft genug sagen.
    Die Lage steht schlecht für mich. Kein Gericht der Welt würde mir den Selbstmord abnehmen, dessen ich mir selbst nicht einmal sicher bin. Na, wenigstens gibt es keine Zeugen.
    »Da kommt wer.« Olsen steht im Türrahmen, erwacht von den Ohnmächtigen.
    Selbstverständlich kommt wer. Natürlich Zeugen. Warum auch nicht?
    »Du große heilige Scheiße.«

    Vierzehne — Der Mann mit dem verlorenen Rucksack
    Ich presse die Nase auf den kalten Stein, der uns Deckung gibt. Olsen befindet sich in einem bedenklichen Zustand. Immerhin folgte er mir im Sprint 25 Meter auf die Almwiese hinaus, um hinter einem Felsbrocken Schutz zu suchen. Schutz vor einem einzelnen Wanderer, der am Waldrand entlang direkt auf die Hütte zusteuerte. Unsere Flucht hat er nicht bemerkt. Unbekümmert flattern weiter Insekten um unsere blassen Nasen.
    Ich spitze aus meinem Versteck hervor.
    Der Wanderer mit dem Rucksack, der mir bekannt vorkommt, ruft nun zum wiederholten Male »Adi«. Also mir kommt erst der Rucksack bekannt vor. Den hielt ich schon mal in den Händen. Über diese Eselsbrücke gelange ich zu der Erkenntnis, dass es sich um Jürgen, den Bergführer von der Coburger Hütte, handelt.
    »Das ist Jürgen«, sage ich zu Olsen.
    Der schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er schielt leicht.
    »Er schreit Adi. Das ist wohl der Tote«, erkläre ich ihm.
    »Adidas?« Olsen hat einen Schock. Ihm müsste geholfen werden.
    Ich beobachte nun, wie Jürgen in den Eingang der Hütte tritt. Die Papierbälle verwundern ihn, das ist deutlich zu erkennen.
    »Ja wos is denn dees füar a Zeig?« und »Adi, bist dahoam?«
    Rufe, die bis zum Findling nicht an Verständlichkeit verlieren. Wobei, der Tote könnte auch Hacki heißen. Da bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher.
    Jürgen verschwindet in der Kammer. Ich kann ihn nun für genau zehn Sekunden nicht mehr sehen. Aber hören. Ein spitzer Schrei und folgender gerufene Satz:
    »Geh, leck mi am Oasch, der is ja hi!«
    Im Anschluss stürmt Jürgen aus der Alpenbehausung des Todes. In großer Eile rennt er, direkt die Falllinie nutzend, ins Tal hinab.
    »Der is hi! Da Oid is hi!«
    Die hohen Flanken des Tajatörls echoen ein irres Gelächter wider.
    »Hihihihi«, schallt es zu uns herab. Es klingt, als verhöhne uns der Teufel. Unbehagen setzt sich in geperlter Schweißform auf meine Stirn. In meiner Rechten halte ich immer noch die Pistole umklammert wie einen Staffelstab. Olsen deutet darauf und fragt:
    »Eine Walther P38? Wo hast du die her?«
    Dann dämmert er wieder weg.

    Fuchzehne — Brief und Siegel
    Menschen haben Vorlieben und Abneigungen. Jeder

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