Grimms Erben

individuell, für sich alleine, subjektiv erklärbar. Ich liebe es, sexuellen Kontakt zu haben. Ich liebe es, wenn mich Sonnenstrahlen zwischen den Zehen erwärmen. Ich liebe Oasis, eigentlich nur Liam von Oasis. Ich liebe Oboe, Lachsforellen, gemulchte Waldwege, Fips Asmussen, Kopfmassagen, Kommissar Thiel vom Tatort Münster und einiges mehr. Ich hasse Riesenradfahren, Weißwein, ABBA, Sauerkraut und Rechtsmediziner Prof. Börne vom Tatort Münster. Ich hasse es, wenn man morgens aufsteht und es noch stockdunkel ist. Ich hasse es, wenn Jogger an einer roten Ampel im Stehen weiterlaufen, weil sie meinen, ihren Trainingspuls von 135 aufrechterhalten zu müssen. Und neuerdings hasse ich es, wenn man nicht weiß, ob man einen Menschen auf dem Gewissen hat.
    Verdammt, ich hasse Pilze fressen und kiffen. Und ich hasse mich selbst.
    Ich lasse Revue passieren – die letzte Nacht. Tragisch, aber nicht bar jeglicher Realität. Wir starten den Erinnerungsknopf zum Zeitpunkt nach unserem Dosenfischabendmahl:
    Olsen kifft und diskutiert über Frau Holle. Ich kiffe mit, Herrgott noch eins, ich kiffe mit. Nicht zu knapp. Weitere Gespräche folgen. Olsen pennt ein. Ich sehe ein Licht im Wald. Seltsam. Was tut es da? Wir wollen nachsehen.
    Wir stolpern high durch den Wald, Olsen findet halluzinogenes Zeug. Essbar oder nicht – wir haben die Pilze verdrückt. Spaß kam auf. Wir sind zur Lichtquelle gegangen. Es war eine Hütte. Licht brannte, ein Mann saß an einem Tisch. Er war alt. Der Mann. Überall war zerknülltes Papier.
    Olsen wollte in die Hütte gehen. Unsere Aufnahmefähigkeit war mittlerweile stark eingeschränkt. Gespenster traten auf den Plan. Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich der Mann, wir könnten ihn Adi oder Hacki nennen, in der Hütte bester Gesundheit. Zumindest lebt er noch.
    Dann Filmriss.
    Weiter: Olsen weckt mich unter dem Papierstapel auf. Es ist der nächste Tag. Zu diesem Zeitpunkt ist Adi oder Hacki tot.
    Ich folgere: Der Mann lebte in der Nacht zwischen unserem körperlichen Niedergang und unserem Erwachen ab. Tot durch eine Walther P38. Woher wusste Olsen das so genau?
    Olsen kauert im Gras und hat die Augen geschlossen. Könnte nicht doch Olsen ein Mörder sein? Immerhin kennt er Waffenbezeichnungen.
    Alternative eins: Nachdem ich meinen Zusammenbruch hatte, wacht Olsen aus seinem Betäubungsschlaf wieder auf. Er ist in seinem unvorsichtigen Zustand des Deliriums schnurstracks durch den Hütteneingang stolziert, hat womöglich »Hände hoch oder ich scheiße« oder so einen Mist erzählt, der arme alte Mann ist furchtbar erschrocken und zieht seine alte Wehrmachtspistole, weil er war Gebirgsjäger, und knallt sich ab.
    Was für ein Dünnpfiff. Ich bitte Sie, die letzten Zeilen überlesen zu haben.
    Alternative zwei: Der Mann bedroht Olsen mit seiner alten Wehrmachtspistole. Er fordert ihn auf Bayrisch auf zu gehen. Sofort. Olsen lacht, vielleicht sogar über ein »Zefix«, das ihn noch mehr belustigt. Er tanzt durch das weiße Bällebad, bis er dem alten Mann die Waffe abnimmt und ihn im Sitzen erschießt. Dann drückt er ihm die Waffe zurück in die rechte Hand und schleppt meinen schlafenden Körper in die Hütte. Olsen wartet, bis es hell wird, dann weckt er mich auf und sagt: Du hast den Mann erschossen.
    Aber warum drückt er dann nicht mir die Mordwaffe in die Hand, sondern dem Ermordeten selbst? Und Olsen wäre ein guter Schauspieler, wenn er auf eigenen Befehl kotzen könnte.
    Olsen war es nicht.
    Alternative drei: Ich war es. Scheiße, ich will es nicht gewesen sein. Aber mal angenommen, ich bin nach meinem Zusammenbruch in einen Zustand des Schlafwandelns übergegangen und habe mich in Adis oder Hackis Haus begeben. Dort habe ich eine Pistole gefunden und den Mann erschossen, weil ich es in meinem Betäubungsmittelwahnsinn so richtig fand. Um von mir abzulenken, habe ich die Pistole dem Toten in die Hand geheftet. Anschließend bettete ich mich auf die Pergamentmatratze, um auszuschlafen.
    Selten habe ich einen größeren Unsinn gehört.
    Alternative vier: Adi beging Selbstmord.
    Olsen schreckt aus seinem Dösen auf, wirft sich mit dem Oberkörper über den Stein, deutet auf die Hütte und sagt:
    »Joseph, was hat es eigentlich mit dem Papier auf sich.«
    »Olsen, ich muss meine Taschenlampe finden.«
    Denn ob nun wir es waren oder Adi oder Hacki selbst, der seinen letzten Atemzug per Knopfdruck herbeiführte: meine Taschenlampe muss da nicht liegenbleiben.
    »Du Olsen, mir wäre bei Folgendem