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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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wohl. Du gehst zu unserem Rastplatz zurück, räumst unsere Sachen in die Rucksäcke und machst klar Schiff. Ich hole meine Taschenlampe aus dem Haus, und wir machen uns vom Acker. Wer weiß, wie schnell Jürgen mit Gefolgschaft wieder hier eintrifft. Diese verdammten Bergmenschen scheinen ja Flügel zu besitzen. Wir entscheiden dann beim Abmarschieren, wie wir weiterführend handeln. Jetzt erst mal weg hier, oder?«
    »Alles klar, Joseph. Mich halten hier keine zehn Pferde. Darauf gebe ich dir Brief und Siegel.«
    Olsens letzter Satz zündet eine Lunte in meinem Kopf. Es regt sich eine Überlegung.
    In der Hütte angekommen, verrichte ich folgende Dinge.
    Ich suche nach der rechten Hand von Adi. Dem alten Mann lege ich die P38 in seine zerfurchte, schmutzige Hand. Vorher allerdings wische ich meine Fingerabdrücke, die sich in Adis Blut am Pistolenschaft befinden, mit einem verrotzten Papiertaschentuch ab. Ich platziere den Körper nicht zurück auf den Stuhl.Jürgen soll alles so vorfinden, wie er es in den zehn Sekunden seiner Inspektion vorgefunden hat.
    Meine Taschenlampe finde ich nach einigen Minuten unter der Zettelwirtschaft vor dem Holzofen. Ich stopfe sie in meine teure, bekotzte Goretex-Jacke.
    Nun versuche ich sporadisch, unsere DNA -Spuren zu entfernen, zumindest zu verwischen. Die gröbsten, mit erbrochenen Pilzen besudelten Papierfetzen packe ich ein. Dabei mache ich keinen Unterschied, ob der Auswurf von mir oder Olsen stammt. Das Zeug muss oberflächlich weg. Meine Goretex-Jacke ist mittlerweile mit Unrat gefüllt wie der Sack vom Nikolaus. Ich sehe mich um.
    Für einen Laien ist nicht zu erkennen, ob Dritte im Haus waren. Für einen gewieften Kommissar wahrscheinlich schon vor Eintreten in die Holzhütte. Ich hoffe, dass es auf 1700 Metern Höhe keine gewieften Kommissare gibt, sondern Sonderlinge in Loden-Uniformen, die um ihren alten Kameraden Adi trauern und dabei die investigative Tatortuntersuchung schleifenlassen.

    Mein letzter Gang führt mich zurück zum Schreibtisch. Da springen mir Olsens letzte drei Worte ins Gedächtnis.
    Brief und Siegel.
    Siehe da, bei aller Hektik, Aufregung, Panik, gegenseitiger Beschuldigung und Tonnen von Papier ist uns Folgendes gar nicht aufgefallen. Ein Paket.

    Sechzehne — Der Mann, der aussieht wie
ein Amokläufer und Märchenfreak
    Das Paket. Es ist eher ein sehr dicker Brief. DIN A4, eingeschlagen in beiges Butterbrotpapier und mit Hilfe vieler Schnüre zusammengehalten. Der Inhalt ist offenbar von Geheimnis umwobener Wichtigkeit. Als wäre dem Verfasser viel daran gelegen, dass niemand anderer als der ausgewiesene Empfänger seine Zeilen liest.
    Ich blicke auf die Adresse und den Namen, die offensichtlich in Sütterlinschrift notiert wurden.
    Ich kann beides nicht recht entziffern.
    Und doch greife ich nach dem Bündel und nehme es mit. Ich bin überrascht. Das, was da in Packpapier eingeschlagen wurde, ist hart und fühlt sich wie eine Blechschachtel an. Und hatte gestern Nacht nicht ein ähnlicher Gegenstand neben dem Mann gestanden?
    Ob es Neugierde ist? Ob es Spurenbeseitigung ist? Oder einfach eine Art Wiedergutmachung, weil ich dafür sorgen will, dass das Paket seinen Adressaten nach dem Ableben des Autors bestimmt erreicht? In diesem Moment kann ich es nicht beurteilen, will mich aber nun schleunigst aus dem Staub machen.
    Ein Kuckuck ruft. Es klingt nach: Du Dieb!
    Olsen kommt mir mit Sack und Pack entgegen. Er tropft aus allen Poren. Das Blond auf seinem Kopf sieht aus, als wäre es explodiert.
    »Sehr schnell, Olsen. Echt schnell gepackt. Hast du auch nichts vergessen? Ich mein…«
    Ich will ihm einige Gepäckstücke abnehmen. Er läuft in flottem Tempo an mir vorbei, ignoriert mich und mein Angebot. Ein Wort flattert in unzähligen Wiederholungen wie eine Flagge hinter ihm her.
    »Abhauen!«
    Wir tun es.
    Als ich den Weg talwärts einschlage, dort, wo Olsen wie Buster Keaton in Zeitraffer verschwunden ist, tritt plötzlich ein Mann aus dem Dickicht. Erst denke ich, Jürgen ist zurückgekommen. Dann denke ich: Scheiße, Polizei! Der Mann kommt mir aber bekannt vor. Der Parka. Das Stoppelhaar. Die ungewöhnlich dicken Brillengläser. Es muss der Baumredner sein.
    »Guten Tag. Können Sie mir vielleicht kurz helfen?«
    Bevor ich verneinen kann, hält er mir eine Wanderkarte unter die Nase. Der aufgeschlagene Teil zeigt ziemlich genau jenes Areal, in dem wir uns gerade befinden müssten. Tajatörl, Seebenwände, Ehrwald. Einige mit Bleistift

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