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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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abbiegen. Hinzestraße. Wissen Sie eigentlich, dass ein Navigationsgerät hilfreich ist?«
    Schlaumeier.
    »Vergessen«, sage ich während des Anfahrens.
    Mein Herz tanzt aufgeregt in meiner Brust. Ich betätige am Eingangstor die Klingel. Auf dem Klingelschild sind üble Schmierereien angebracht.
    Trotz der gut zehn Meter zum Haus, das eigentlich gar kein Haus ist, sondern ein Wal, höre ich, dass mein Knopfdruck ein Klingelgeräusch innerhalb des Fischbauchs verursacht. Wer zum Teufel baut sich ein Haus, das aussieht wie Moby Dick? Höchst seltsam und märchenhaft. Fehlt nur noch, dass Kapitän Ahab aus der Behausung humpelt. Ich schelle erneut. Das nun schon zum dritten Mal. Nichts bewegt sich. Keiner da. Der Garten scheint ziemlich verwildert. Hinter einer Holzhütte – kurz zieht Gänsehaut auf, weil dieser Schuppen verdammt nach Mandlhütte aussieht – liegt ein umgekippter Einkaufswagen.
    Aus dem Nachbarhaus glotzt ein Augenpaar durchs Fenster. Neugierde ist auf dem Land weit verbreitet. Ich winke dem Augenpaar, das nur dumm weiterglotzt. Ich überlege kurz, ob ich mein Präsent einfach ablegen soll. Die Art der Übergabe hatte ich mit meinem Inneren lange diskutiert und mich schließlich für eine persönliche Übergabe entschieden und mir folgenden Satz zurechtgelegt: »Dieses Paket hier ist an Sie adressiert. Ich habe es auf tausendsiebenhundert Höhenmetern gefunden.« Was aber nun, da ich den Adressaten nicht antreffe?
    Ich schrecke auf, brülle ein »Zefix!«, als mich eine Hand an der Schulter berührt. Das mit dem Zefix hat sich bei Olsen und mir ziemlich eingebrannt. Wir werden das Wort nicht mehr los und verwenden es nicht nur, wenn wir verschreckt sind. »Hier abgeben?«
    Black-Bayer steht vor mir!
    »Jaja«, stottere ich ihm entgegen. »So will es die Adressierung.«
    Was ist das für ein doofer Satz?
    So will es die Adressierung?
    Bin ich Beamter? Zumindest bin ich aufgeregt.
    »Karl Rettig mein Name.« Der Dunkelhäutige reckt mir seine rechte Hand entgegen. Ich ergreife sie und denke, Karl Lewis würde besser zu ihm passen.
    »Joseph Schmidt.«
    »Joseph? Und das als Hamburger?«, fragt Karl Rettig mich eine Spur zu durchdacht. Verdammt, ist das schon die Vorhut der Kriminalen aus dem Österreichischen Polizeibezirk Reutte? Bevor ich was sage, ergreift er mit einem »Darf ich?« mein Päckchen und dreht es um neunzig Grad. Dreist. Ehrlich gesagt, würde er durchaus als Hauptkommissar durchgehen. Die beim Tatort haben doch alle einen Knall. Borowski, Kiel. Mey, Frankfurt. Eisner, Wien. Lannert, Stuttgart. Keppler wie Saalfeld, Leipzig. Börne, Münster. Alle einen kompletten Schuss vorm Bug. Freaks. Wobei Börne ist kein Hauptkommissar, sondern Rechtsmediziner. Dennoch irre.
    »Und da soll ein Brief für Locher drin sein?«, fragt er mich.
    »Offenbar. Wenn das der Mann ist«, ich deute auf das sonderbare Haus, »der dort wohnt.«
    »Den werden Sie hier nicht antreffen.« Karl Rettig reicht mir den Brief zurück.
    »Warum denn nicht? Was ist mit ihm?«
    »August Locher wohnt mittlerweile in Straubing. JVA. Lebenslange Haft.«

    Die Übergabe
    »Sind Sie Joseph Schmidt?«
    »Der bin ich.«
    »Bitte mitkommen.«
    Ich verschone Sie mit Details über den Bürokratenmarathon, den ich von Hamburg aus über mich ergehen lassen musste, bis ich einen Besuchstermin in der JVA Straubing für August Locher erhalten habe. Ich berief mich auf Punkt 4.2 der Broschüre Informationen zum Besuch von Strafgefangenen.
    4.2 Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht vom Gefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung des Gefangenen aufgeschoben werden können.
    Aber offenbar traute man mir nicht zu, dass ich etwas zur Wiedereingliederung Lochers beitragen könne. Oder man ist an dieser grundsätzlich nicht interessiert.
    »Bitte mitkommen«, sagt eine brünette Justiz-Vollzugsbeamtin. Ich bin erregt. Nicht wegen ihr, sondern wegen der Übergabe. »Bitte warten.«
    »Äh… hören Sie, ich warte hier jetzt schon…«
    »Andere warten ein Leben lang.«
    Auch richtig. Ich besinne mich meiner Freiheit und lobe mich im Geiste für meinen bisher tadellosen Lebenswandel.
    Den Grund des langfristigen Aufenthaltes von August Locher in der Justizvollzugsanstalt habe ich mittels archivierter Zeitungsartikel regionaler, aber, ob der

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