Grimms Erben
rührende Geschichte. Wie ich zum Überbringer des Paketes wurde. Berg, Mandlhütte, Großvater Zacharias, Revolver, Papierkugeldeponie, Selbstmord und so weiter. Schwer trifft mich, dass ich August Locher im Gebirge nicht den Weg zur Mandlhütte erklärte. Womöglich hätte er mit seinem Großvater noch Zeit verbringen können. Für August wäre das wohl wichtig gewesen, wenn auch der Großvater schon tot war. Dafür entschuldigte ich mich aufrichtig.
Ich war ein weiteres Mal in Straubing, das hat gereicht, um in dieser Sache fortzufahren.
In dieser höchst absonderlichen Sache.
Oftmals sitzt man mit seinen Gedanken an einem Tisch in seinem eignen Oberstübchen und wirft Fragen auf, welche nicht beantwortet werden können. Man trinkt einen weiteren Schluck, zum Beispiel Wein, prostet seinen Gedanken zu, um weitere Inspiration zu finden. Wie man das Blatt dreht und wendet. Pragmatismus erscheint oft am plausibelsten, der dann heißt: Zufälle gibt es. Schicksale gibt es. Fügungen gibt es. Aber keine Erklärungen. Man blickt seinen Gedanken in die Augen und erlebt, wie sie zu Gefühlen werden und sich verflüchtigen.
Wie kommt ein inhaftierter Mörder dazu, mich in einen Eid einzuweihen? Ich bitte Sie – da entfleucht mir ein »Zefix« –, das ist Zufall und Schicksal zugleich, und die Fügung schicke ich hinterher: Wie sich herausstellte, hatten sieben renommierte Verlage ein erhebliches Interesse, das Märchenbuch eines kultverdächtig Verurteilten zu veröffentlichen. Mit der Redaktion von WORTundTOTSCHLAG hatte ich das interessanteste Gespräch und entschied mich nach Rücksprache mit August Locher für diesen Buchverlag.
Für meinen Einsatz als Agent veranschlagte ich kein Honorar, das bekam ich für andere Leistungen.
Das Werk erhielt den Namen »Grimms Erben«. Dieser Bitte wurde August Locher nicht nur nachgekommen, sondern sie wurde sogar als äußerst originell eingestuft.
Einige kleine Details fehlten noch, die das Buch zu etwas Besonderem machten.
Moderne, extravagante, gewagte Illustrationen. Drei Stück pro Erzählung. Und zack! Schon kam meine künstlerische Hand ins Spiel.
Ohne Ethik ist Ästhetik sinnlos – mein ethischer Grundtenor befindet sich in der Waagrechten. Ich bin zwar nicht von der Unschuld August Lochers überzeugt, erkenne jedoch deutliche soziale Vergehen bei den von Locher bestraften Personen. Der Umfang seines Feme-Pensums war vielleicht – lassen Sie mich es so ausdrücken – durch Überengagement etwas geweitet. Ich wiederhole: Wäre ich einer von den Menschen, die sagen würden, Locher hätte den elektrischen Stuhl verdient, schlimm genug, dass es solche Leute gibt, ich hätte niemals diesen Job angenommen. Von der Vermittlung bis hin zum Illustrieren. Jawohl – Pecunia Olet! – Geld stinkt, das tut es, seitdem man mit Knochen und Kieselsteinen dealt, aber an meinen Händen klebt kein Blut!
Deshalb ist mir nicht unwohl, ihm geholfen zu haben – und der Erfolg gibt mir recht, glaube ich –, bei der Veröffentlichung und illustratorischen Umsetzung eines in internationalen Literaturkreisen hochgelobten Märchenwerkes.
Das ist fucking en vogue!
So schrie die Fachpresse.
Das ist Spiegelbestsellerlistenspitze!
Deswegen ruft ein Mike van Bergen an, der natürlich mit seinen international konkurrenzfähigen Fingern nach einem Teil vom Kuchen greifen will. Er wird nicht einmal die Brösel aufpicken. Nach Gratulationsbekundungen und den ganzen »Wuuuuhhhs« und »Yeahs« kam Kündigungs-van-Bergen zum Punkt. Er will, weil ja die modernen Graphiken seine Idee waren – wenngleich für einen anderen Verlag – Tantiemen. Geld. Zaster. Viel Geld. Weil Bestseller. Er hat die Idee erst ins Leben gerufen. Das ist sein Argument. Er hat ein Recht darauf. Das alles erklärte er in perfektem, akzentfreiem Deutsch. Ich antwortete international:
»Fuck YOU off!«
Was dieser Verkaufsschlager für den gefangenen Autor August Locher bedeutet, kann ich bis dato nicht sagen. Erhält er Strafminderung wegen guter Führung? Wegen guter Federführung? Seine finanziellen Grundlagen habe ich in die Hand genommen. Es sollen sich keine Dritten an seinem Gewinn bereichern. Sie glauben nicht, wer da alles mit Papieren wedelt und Ansprüche stellt. Vom Gefängnisdirektor bis zum Verlagsfotografen, obwohl in und auf »Grimms Erben« kein einziges Foto des Autors abgelichtet ist. Nur ein gezeichnetes Konterfei aus meiner Tuschefeder. Das aber gut geführt.
Ich halte zweiwöchentlich Kontakt
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