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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Kamillentee, und benetzte seine Hose.
    »Woidkriag oans. Bajonett.« Stolz lag in seiner Stimme.
    Verständnisvoll nickte Ignaz ihm zu und breitete die Handflächen aus.
    »So iss.«
    »Naa«, knurrte der Alte. »So war’s scho imma. Und weard nia anders. Kriag is Kriag. Da Sieg muass hea. Heil Hitler.«
    Ignaz schickte hinterher, dass er in Starnberg an einem streng geheimen Plan zur Sicherung Süddeutschlands mitgewirkt hatte. Er könne nur so viel erwähnen, dass es sich um eine Arbeit an einem U-Boot gehandelt hatte.
    Es wurden abschätzende und abschätzige Blicke gewechselt. Ignaz fürchtete, seine Phantasie hatte ihn wieder zu weit getrieben, da brüllte der Mann, der sich »Girgl vom Hof« nannte, in Richtung des beleibten Schankwarts.
    »Albin! A Maß Bia für den Lump. Mei Rächnung.«
    So flatterten ungenierte Wörter zwischen den beiden Gesprächspartnern hin und her. Der Geruch von Zigaretten und Pfeifentabak hing in der dampfenden Luft. Der Raum war blau. So wie einige ältere Gäste, die ihre schweren Köpfe in den Armbeugen vergruben. Ignaz musste sich weit aus dem Fenster lehnen, um mit den Geschichten vom Girgl mithalten zu können.
    Das restliche Stammpublikum wurde mit dem fremden Jungen nicht so richtig warm. Bis auf den zerzausten Gnom hielten alle vorübergehend Abstand von Ignaz Buchmann.
    Später tat sich eine Kartenrunde auf, welche Ignaz vehement aufforderte, mitzuspielen.
    »Geh Buarle, dua mied! Kartln deamma.« Grobschlächtige Hände deuteten auf ein Paket Karten. Ignaz fragte:
    »Schafkopf?«
    »Nix. Poker.« Der Mann mit den Greifarmen eines Baggers zog ihn am Hemd.
    Diesmal war es Ignaz, der mit einem kurzen »Nix« Antwort gab.
    »Ich spiel lieber Schafkopf.«
    Der Baggermann hatte ein großes, rundes, rotes Gesicht. Der Filzhut auf seinem Kopf war ihm viel zu klein, vielleicht war das aber auch Mode hier. Unmissverständlich grinste er Ignaz an.
    »Pass auf. I bin Gwichtheba. Und du duast mied.«
    Alles klar.
    Diese Vehemenz ging in Anbetracht der potentiellen Kraft des Mannes in Nötigung über. Warum war dieser Mann nicht im Kampf für »uns Deidsche?« Sein alter Gesprächspartner wandte sich grinsend ab. Es war offensichtlich, dass man ihm weh tun wollte. Entweder sollte er seines ganzen Geldes entledigt oder eben in eine Keilerei manövriert werden. Das ahnte er ohne Umschweife. Aber gut, dachte sich Ignaz, vielleicht ist ja bei dem Ganzen auch für mich was drin. Und siehe da, das war es.
    »Its hod ea eing bschissn.«
    Und Ignaz war auf und davon.
    Vier Bier, ein Wurstsalat, vier Scheiben Graubrot. Da er bei seinem überhasteten Aufbruch die Rechnung nicht beglich, sparte er sich etwa drei Reichsmark. Ein Blitzgedanke, der in sein Gehirn einschlug, während er mit den Kniekehlen seinen Holzstuhl nach hinten feuerte, brachte Teile des auf den Tisch liegenden Geldes ein, nach dem er griff. Beim Hinausstürmen aus der Wirtsstube konnte er noch einem verdatterten Postboten die Kalbshaxe vom Teller stibitzen – leider verlor er bei dieser ausladenden Bewegung seinen Personenausweis. Bis das gesamte perplexe Publikum diese in Schallgeschwindigkeit abgehaltene Aktion zu deuten vermochte, klingelte über der schon geschlossenen Eingangstür das Glöckchen. Eine hölzerne Schützenscheibe mit einem röhrenden Zehnender darauf fiel durch den Luftzug vom Nagel zu Boden und riss sie aus ihrer Starre. Als wäre ein Befehl zum Ausrücken ertönt, sprangen acht Mann von ihren Plätzen hoch und stürmten zur Tür, plus drei, die eh schon standen. Zwei Frauen und »Girgl vom Hof« blieben sitzen.
    Und so hatte Ignaz eine weitere Flucht am Laufen – wenn das kein regelrechter Wortwitz war.

    Die rote Blechschachtel

    Laufen. Haken schlagen. Springen. Mittlerweile trieb ihn nicht die Todesangst vorwärts. Freie Straßen und Gassen schienen ihn anzuziehen und wie durch einen Sog nach vorne zu peitschen. Von Gepäck- und Kleidungsstücken blockierte Wege mied er aus tempomindernden Gründen. Er hatte nur leichte Bedenken, dass hinter der nächsten Ecke weitere Verfolger auftauchten. Verfolger, die noch gar nichts von seiner Flucht wussten. Verfolger, die dieses Areal ebenfalls nach Versteckten durchsuchten. Und die die gleiche Ausrüstung und Uniformen trugen, wie die beiden Männer hinter ihm, welche mittlerweile das Schießen einstellten, da sie ihr Ziel nicht mehr vor Augen hatten.
    Er wechselte die Straßenseite und verschwand mit einem leichtfüßigen Ausfallschritt in einer Toreinfahrt,

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