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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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gibt Berger vehement an, »sollte ich dich noch einmal beim Pennen erwischen oder beim Erledigen von Dingen, die hier nichts zu suchen haben, oder wie du unsere Ware kaputtmachst, dann setzt es was. Verstanden, du Freak?«
    Locher nickt. Traurig und geschlagen. Alles Eklektiker. Phantasielose Eklektiker.
    Panzer klopft ihm schmerzhaft zwischen die Schulterblätter. Die Luft bleibt kurz weg. »Wir sind ja hier kein Papierbordell, har har har!«
    Har, har, har – alle hinterher. Locher steht da und schweigt. Seine Brille läuft an. Er zittert, es zehrt. Er bröckelt, aber er bricht nicht.

    Der Utopier
    »Wussten Sie schon, dass man bei einem Körpergewicht von siebzig Kilogramm nach einer Stunde Joggen etwa tausend Kalorien verbraucht hat, man diese aber nach dem Konsum von einer Fertigpizza wieder aufgenommen hat?«
    Karl Rettig steht an der Kreuzung Hinzestraße-Grünwaldstraße. Der Fragenmann nützt die Zeit, die achtzehn Uhr beträgt, um an der Bushaltestelle die heimkommenden Arbeitnehmer mit seinem Wissen zu unterhalten.
    »Wussten Sie schon, dass der Olympus Mons auf dem Mars mit vierundzwanzig Komma sechs Kilometer Höhe der höchste Berg des Sonnensystems ist und es auf ihm nachweislich noch Edelweiß gibt?«
    Viele Fußgänger beachten ihn kaum oder beschleunigen ihren Schritt, um dem Verrückten nicht zu lange ausgesetzt sein zu müssen. Dann marschiert der Fragenmann die Hinzestraße hinab. Schreitet wie ein wandelndes Sprachrohr durch die Wohngegend.
    »Wussten Sie schon, dass Ringo Starr von den Beatles in der Uhrzeitfilmkomödie >Caveman< einen Neandertaler namens Adhuc spielt?«
    Die Sonne schickt glitzernde Schwerter vom Himmel, geschärft von der Hitze. Und obwohl Karl eine Jimi-Hendrix-Frisur in Medizinballgröße trägt, die noch dazu von einer Fellkappe eingefasst ist, schwitzt er nicht. Er sieht aus, als hätte er zwei riesengroße schwarze Ohren aus Schurwolle. Auf seinem ausgeleierten weißen T-Shirt ist ein rotes Schlauchboot abgebildet, auf dem in poppig gelben Lettern steht: »Alle sitzen im gleichen Boot«. Darunter schwarz: »Günther Vierling Versicherung«. Poppige Sicherheit.
    Frau Kowalski sitzt in ihrem Garten im Rollstuhl und liest eine Zeitschrift, die sich mit Strickmuster und Häkelutensilien beschäftigt – sie heißt »Wolle &Nadel« oder so ähnlich. Neben ihr steht eine Flasche Mineralwasser auf dem Gartentisch. Der Fragenmann stellt sich an ihren Gartenzaun und brüllt ihr zu.
    »Wussten Sie schon, dass Häufigkeit und Frequenz in sich so proportional sind wie Stärke und Intensität?«
    Die gelähmte alte Dame erschrickt, wischt mit ihrem Magazin wedelnde Verschwind-Bewegungen in die Luft.
    »Gsch – gsch – gsch!«
    Wie eine streunende Katze oder eine schmutzende Taube will sie den Fragenmann in die Flucht schlagen. Karl Rettig winkt freudestrahlend zurück und meint zu ihr:
    »Wussten Sie schon, dass Karl Marx den totalitären Konsum im Insgeheimen nicht verabscheute, sogar Segmente von ihm transformi…«
    »Ich verfluche dich!!!«, donnert es.
    Locher ist hinter Karl Rettig erschienen. Legt ihm den Arm um die Schulter.
    »Hallo Karl.«
    Karl nickt und lächelt breit.
    »Ich verfluche dich! Diebesgesindel! Vandale! Lügner! Ich verfluche dich!« Frau Kowalski wirft mit ihrer Zeitung in Richtung des schrägen Duos. Dabei verschüttet sie ihr Glas Mineral.
    Beobachtende Passanten von der anderen Straßenseite schütteln empört den Kopf. Wie Sie richtig annehmen, missbilligen sie nicht das Verhalten der körperbehinderten Greisin, sondern die Anwesenheit der beiden dunklen Schurken. Diebesgesindel in ihrer Gegend? Untragbar. Polizei!
    Locher und Rettig spazieren zum Ende der Hinzestraße. Es ist Freitag. Das irre Kind der Wolfs steht in der Auffahrt und sticht mit einer Schweizer Klinge tollwütig in den Stamm der Lärche auf Wolfs-Grund, die zwischen der Garagenauffahrt und dem seitlichen Rasengrün zu Lochers Anwesen steht. Die Rinde schreit. Neben den ausgehackten, blutenden Wunden des Baumes stecken zwei Aluminiumpfeile, mit einem Sportbogen tief ins Holz getrieben. Locher wird übel bei dem Anblick. Sein Freund, der Baum, wimmert leise ein Lied der Qual.
    Als Björn-Ben Locher und Rettig sieht, hält er in seinen aggressiven Hackbewegungen inne.
    »Pfeil her«, befiehlt der Junge frech und deutet mit der blitzenden Klinge auf Lochers Anwesen, wo sich ein Aluminiumpfeil mit grünen Federn, offenbar das Ziel verfehlt, in Lochers Rosenbusch verfangen hat.
    Locher

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