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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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halten Sie sich fest, das bin ICH, setzt an.
    »Ich war schon mal auf Texel.«
    Mein Beifahrer winkt ab und kontert sofort:
    »Ich war schon auf Malle, Teneriffa, Elba. Auf Elba war Napoleon auch schon mal.« Gelächter.
    »Dann… warte mal… auf Rügen, Amrum. Ich war in Thailand auf diversen Inselchen. Koh Samui, Phuket, Khao Lak, Phi Phi Inseln. Und auf Mainau.«
    Mein Beifahrer beugt sich leicht zu mir herüber, dabei verschüttet er Bier.
    »Bodensee«, sagt er belehrend.
    »Ich weiß«, antworte ich. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Mainau im Bodensee oder im Chiemsee liegt. Jetzt übernehme ich wieder.
    »Ich war da auch schon mal. Und überall anders auch. Und ich war schon einmal auf Korfu, Pag und Capri.«
    Letzteres ist gelogen, aber ich muss meinem Gesprächspartner etwas den Wind aus den Segeln nehmen. Es gelingt. Er trinkt nervös von seiner Bierflasche, die wir zusammen vor einundzwanzig Minuten an einer Autobahntankstelle bei Höhenrain erworben haben. Meine ist schon leer.
    Dieses Spiel ziehen wir nun schon seit zweihundert Kilometern durch. Das Aufzählen von Orten, an denen man schon einmal gewesen ist. Im Urlaub, während der Arbeit, in Gedanken. Letzteres trifft auf mich zu, und ich hoffe, dass mein Beifahrer die Schummelarie nicht bemerkt oder gar selbst anwendet. Gerade machen wir alle Inseln durch.
    »Ich war sogar schon einmal auf Malta«, gebe ich an.
    »Malta ist ein Land«, kontert er. »Zählt nicht.«
    »Ein Inselstaat. Zählt wohl.«
    Nach einigen Umdrehungen sagt er ganz langsam:
    »Ich war mal auf Hawaii.«
    Verdammt.
    Ich weiß, dass das gelogen ist, aber da mein Wahrheitsgehalt auch Lücken aufweist, gratuliere ich ihm innerlich zum Sieg beim Lügenduell.
    Mein Beifahrer heißt Ole Olsen, kein Witz. Aber was ist das für ein Name?
    Ole Olsen.
    Der Name Olsen hat norwegische Wurzeln. Oder dänische. Ich glaube, Ole hat einmal erwähnt, sein Ururururgroßvater war Wikinger.
    Ich nenne Ole in den meisten Fällen Olsen. Nicht seines Nachnamens wegen, sondern weil mir als Kind die Filme über die Abenteuer der Olsen-Bande so gefallen haben.
    Ole meinte mal zu mir, Olsen klingt ein wenig wie Pansen, Rindermagen. Ich antwortete, ich könnte ihn auch »Dynamit-Harry« nennen,
    ein weiterer Protagonist der Olsen-Bande-Filme. Das verstand er nicht. So blieb ich bei Olsen.
    Mit Olsen habe ich studiert. Wir haben beide in Hamburg ein Graphikdesignstudium abgeschlossen und arbeiten, einem gewieften, aber kuriosen Doppelvorstellungsgespräch sei Dank, in einem Graphikdesignbüro namens PumpLine.
    PumpLine hat gerade den Auftrag erhalten, für ein Märchenbuch Illustrationen zu gestalten. 12 klassische Märchen, 36 moderne Illustrationen. Eher Kunst- als Kinderbuch. Um die Offenlegung der Moral im Märchen solle es gehen, so das Briefing.
    Märchen haben für mich immer etwas Alpinistisches. Meine Meinung will ich jetzt nicht nur auf das Bergarbeiterdrama »Die sieben Zwerge« reduzieren, in meiner Vorstellung müssen alle Prinzen oder Jünglinge über das Gebirge, wo böse Wölfe und feuerspeiende Drachen auf sie warten. Vielleicht sorgten in kindlichen Jahren die bunten Zeichnungen in den Kartonmärchenbüchern für diesen Eindruck. Steinhäuser, Hügelwälder, rüstige, naturerprobte Großmütter. Ja, ich bin mir sicher, jedes Märchen hat seinen Ursprung in den Alpen. Und dorthin führt uns die Reise. Zur Inspiration sozusagen. Aber der Weg ist weit.
    Hamburg – Garmisch-Partenkirchen.
    857,4 Kilometer.
    7 Stunden, 42 Minuten.
    »Ich war schon mal auf Alcatraz.«
    Olsen schweigt. Dann kommt ein »Alter Vatter« aus ihm heraus.
    Gewonnen.

    Zwoa — Die Katze von Anzing
    Die Julisonne glitzert durch die Windschutzscheibe. 18:43 Uhr – ihr Tiefstand zwingt mich zum Tragen einer Sonnenbrille. Auf meiner Nase sitzt ein Fliegermodell, wie es Tom Cruise in »Top Gun« getragen hat. Die Brille gehört Olsen, der, den Kopf an die Scheibe gelehnt, eingeschlafen ist. Ich habe meine vergessen und ich will jetzt noch gar nicht wissen, was noch alles. Wichtig wäre, dass ich mein komplettes Arbeitsmaterial mithabe. Alles andere, zum Beispiel Gaskocher, Aspirin, transportabler Spaten oder Wollsocken für die Nacht, wären wohl noch käuflich erwerbbar. Wir wollen eine kleine Bergtour starten, und deswegen gehören auch solch überlebenswichtigen Utensilien wie Taschenmesser, Feuerzeug, Bindfaden, Zelt zu unserer Ausrüstung. Und Olsen hat sogar ein Rüdiger-Nehberg-Survival-Handbuch mit.
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