Grimpow Das Geheimnis der Weisen
vorzutäuschen, die ihm offensichtlich abging. »Aber seid unbesorgt, der Abt hat mir mitgeteilt, dass er denselben flüchtigen Templer um Euer Anwesen hat herumschleichen sehen, dem wir seit Lyon gefolgt sind. Diesen Mann verdächtige ich dieses Verbrechens. Der saubere Schnitt«, fügte er hinzu und deutete auf die offene Wunde, »lässt daran keinen Zweifel.«
»Nach Euch und den Soldaten in Eurem Gefolge hat heute Nacht niemand mehr die Abtei betreten«, entgegnete der alte Mönch.
»Euch dürfte nicht unbekannt sein, dass Papst Clemens die Templer persönlich zu Ketzern und Geächteten erklärt hat und behauptet, sie hätten durch ihren verderbten Bund mit dem Bösen Zugriff auf Formeln von Hexenmeistern und Schwarzmagiern. Sie können nach Belieben auftauchen und verschwinden, durch Wände und Mauern gehen, Menschen verstummen lassen und Tiere zum Sprechen bringen. Sie können Greisen ihre Jugend zurückgeben und Männer in Frauen verwandeln, mit dem Teufel sprechen und in der Hölle aus und ein gehen, so wie sie in ihren Komtureien aus und ein gegangen sind.«
»Wie wollt Ihr dann dieses flüchtigen Templers habhaft werden, wenn Ihr von ihm sprecht, als wäre er der Leibhaftige in Menschengestalt? «
»Zu ihrem Unglück ist ihre schwarze Magie so vergänglich wie das Funkeln mancher Sterne am Firmament. Deshalb können sie nicht ewig fliehen und sich versteckt halten. Ich versichere Euch, ich werde den Mörder fassen, auch wenn ich dafür Himmel und Erde in Bewegung setzen muss.
Doch als diejenigen, die dem Abt am nächsten standen, sollt Ihr Euch nun darum kümmern, dass der Leichnam in die Kirche geschafft wird. So können die Mönche die ganze Nacht für seine Seele beten, bevor er morgen ein christliches Begräbnis erhält. Ich werde bei Tagesanbruch die Spur des Geächteten aufnehmen und mein Pferd erst dann aus dem Galopp durchparieren, wenn ich den Kerl eingeholt habe«, sagte er mürrisch.
Verschreckt kehrten die Mönche mit gesenkten Köpfen in den Chor der Kirche zurück und stimmten einen halblauten Psalm an. Unterdessen schafften Bruder Brasco und Bruder Arben mithilfe zweier Diener den Leichnam des Abtes auf einer Trage in die Krankenstube, um ihn in ein Leichentuch zu hüllen.
Es mochte kurz nach der Morgendämmerung gewesen sein, als Bruder Rinaldo Grimpow im Geheimkabinett der Bibliothek aufsuchte, um ihm zu erzählen, was in der Nacht in der Abtei vorgefallen war. Dann nahmen seine wimpernlosen Augen einen fröhlicheren Ausdruck an, und er erklärte, nun könne der Junge sein Versteck ohne Furcht verlassen.
»Sind der Inquisitor und die Soldaten des Königs denn schon losgeritten?«, fragte Grimpow. Er konnte nämlich nicht glauben, dass es wirklich stimmte, was der Bibliothekar da sagte.
»Sie haben bereits vor Sonnenaufgang ihre Pferde gesattelt und sind im ersten Morgenlicht nach Uliense aufgebrochen. Der Dominikaner wollte nicht einmal die Beerdigung des Abtes nach der Terz abwarten.«
Grimpow war zwar betrübt über Durlibs ungewisses Schicksal und den Tod des Abtes, spürte jedoch seine Lebensgeister wiederkehren, als ihm unterwegs der eiskalte Wind ins Gesicht schlug, der durch die offenen Fenster hereinwehte. Bald würde ihm seine neu erlangte Freiheit erlauben, einer Sache auf den Grund zu gehen, über die er sich seit Tagen den Kopf zerbrach.
Wenn Durlib das Glück gehabt hatte, so überlegte Grimpow, seinen Sturz in die Tiefe unverletzt zu überstehen, war er bestimmt an den Ort zurückgekehrt, wo sie die Satteltasche des toten Edelmannes vergraben hatten. Deshalb nahm er sich vor, die Abtei bei der ersten unverfänglichen Gelegenheit zu verlassen, zum Wegkreuz hinunterzugehen und nachzusehen, ob Durlib sich den Schatz geholt hatte.
Sie durchquerten mehrere Bibliotheksräume und bogen dann in einen breiten, hellen Gang ein, dessen große, zum Kreuzgang hin offene Bögen den Ausblick auf den grauen, trüben Himmel freigaben. Es schneite nicht, aber die grimmige Kälte ließ Grimpow hellwach werden, als hätte er sich das Gesicht in einem eiskalten Teich gewaschen. Sie gingen zum Kreuzgang hinunter und steuerten auf die Kirche zu - auf demselben Weg, den Durlib und er gemeinsam zurückgelegt hatten, als sie am Abend ihrer Ankunft dem Abt in seine Gemächer gefolgt waren.
Einen Moment lang stellte sich Grimpow die Blutspritzer an den Wänden und auf dem Boden des Studierzimmers vor und ein tiefer Schauder erfasste ihn. Plötzlich kam ihm sogar wieder der Gedanke, dass es
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