Grimpow Das Geheimnis der Weisen
geschnitztem Holz stand ein Tablett mit einem Messingkrug. Der Priester holte aus einer Schublade drei passende Becher und schenkte ein.
»Das ist ein Zwetschgenlikör, den ich selbst gebrannt habe. Sehr mild und bekömmlich um diese Tageszeit, wenn die Welt im Dunkel versinkt und uns die Schrecken der Nacht belauern«, erklärte er, als er seinen unerwarteten Gästen die Becher reichte.
Salietti leerte mit einem großen Schluck seinen Becher, während der Priester und Grimpow an den ihren nur nippten und sich den angenehmen Geschmack der Zwetschgen auf der Zunge zergehen ließen.
»Schwarz sind die Stunden, die uns bevorstehen, kein Zweifel«, bestätigte Salietti. »Ich nehme an, Ihr habt von Fenio de Vokkos Absicht gehört, die Burgen des Steinkreises zu stürmen«, fügte er hinzu, nachdem er sich über die Lippen geleckt hatte.
Der Priester schnalzte mit der Zunge und nickte. »Im ganzen Elsass wird von nichts anderem geredet. Die Herolde des Barons ziehen von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt, werben gegen gutes Geld und Sonderrechte Soldaten für sein Heer an und locken sogar die Aufständischen und Räuber. Ich glaube, seit den Kreuzzügen hat man kein so vielköpfiges Heer mehr gesehen«, erzählte der Geistliche, angeregt durch den Likör.
»Ja, der französische König hat sich mit dem Baron verbündet, weil er glaubt, in den Burgen des Steinkreises verberge sich das Geheimnis der Templer«, verriet Salietti, um das Vertrauen des Priesters zu gewinnen.
»Ich dachte, der Grund sei, dass Herzog Ulf von Österberg den Rittern des Templerordens in seinen Burgen Schutz gewährt und damit der Bulle von Papst Clemens zuwiderhandelt«, versetzte der Geistliche.
»Eine Handvoll flüchtiger Templer, die von der Erniedrigung und Zerschlagung ihres Ordens entmutigt sind, rechtfertigen keinen Krieg. Das ist nur der Vorwand, den der französische König braucht, um in Herzog Ulfs Festung einzudringen und in ihren unterirdischen Gängen das Geheimnis zu suchen, auf dessen Besitz er so versessen ist«, brachte Salietti vor. »Deshalb hat er auch Gandalf Labox festnehmen lassen, in der Hoffnung, dass dieser weiß, wo sich das Geheimnis verbirgt.«
»Schwört Ihr mir, dass Ihr das, was ich Euch gleich erzählen werde, für Euch behaltet?«, fragte der Priester.
»In den Gräbern des Friedhofs von Cornille werdet Ihr keinen Leichnam finden, der verschwiegener ist als ich. Das schwöre ich bei meiner Ritterehre«, erklärte Salietti und führte sich den über den Daumen gekreuzten Zeigefinger an die Lippen und küsste beide, als wäre es ein Kruzifix.
»Und Euer Knappe?«, fragte der Priester und warf Grimpow einen argwöhnischen Blick zu.
»Ihr könnt ihm ebenso sehr vertrauen wie mir, seinem Herrn, denn zwischen ihm und mir gibt es keine Geheimnisse«, erklärte Salietti genauso feierlich wie bei seinem Schwur.
Der Priester schenkte die Messingbecher noch einmal voll, und sie erfreuten sich erneut am köstlichen Geschmack des Likörs, als wäre er ein göttlicher Nektar.
»Vor einigen Wochen hat mich ein alter Mann aus Paris aufgesucht, den ich nicht kannte. Er trug einen Brief mit dem Siegel des Papstsitzes in Avignon bei sich, der an den bescheidenen Priester des Dorfs Cornille gerichtet war, also an mich. Ihr könnt Euch meine Verblüffung und meine Freude vorstellen, als ich ihn sah. Darin wurde mir der Besuch des Edelmannes Gandalf Labox angekündigt, des Überbringers des Schreibens. Ich wurde angewiesen, ihm Zugang zum Gemeindearchiv zu gewähren und ihm zu ermöglichen, sich dort nach Belieben zu jeder Tages- und Nachtzeit völlig frei zu bewegen, ohne ihn zu stören oder ihm Fragen zu stellen. Ich sollte ihm lediglich behilflich sein, wenn er etwas brauchte oder einen Wunsch hatte. Außerdem bat man mich, ihm und seiner Tochter eine Unterkunft zu besorgen, denn sein Gesundheitszustand sei nicht der beste und das Mädchen solle sich um ihn kümmern. Als Letztes befahl man mir, das Schreiben und die Gründe, die zu seiner Abfassung geführt hatten, absolut geheim zu halten, so wie Ihr es mir auch geraten habt. Ich nehme an, Ihr wisst, worum es dabei geht und was dieser betagte Edelmann im Gemeindearchiv suchte, für den ich inzwischen, das muss ich gestehen, aufrichtige Wertschätzung empfinde«, schloss der Priester.
Salietti trank einen weiteren Schluck Likör und räusperte sich, um den Kloß loszuwerden, der sich in seinem Hals gebildet hatte. »Wie Ihr aus der geheimen Natur meiner Mission schließen
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