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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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aufstand.
    David beugte sich über seine Papiere. »Ich glaube nicht an Glück.«
    Schade , dachte ich. Denn wir werden es brauchen.
    Nach dem Verlassen der Werkstätten begab ich mich schnurstracks zu Bibliothek, in der ich den größten Teil des Abends verbrachte. Ich erlebte eine Enttäuschung nach der anderen. Die historischen Werke über die Grischa, in denen ich nachschlug, boten nur karge Informationen über Ilja Morozow, obwohl er als der größte Fabrikator aller Zeiten galt. Er hatte den Grischa-Stahl erfunden, eine Methode zur Herstellung unzerbrechlichen Glases und eine Formel für flüssiges Feuer, das so gefährlich gewesen war, dass er die Formel nach zwölf Stunden für immer vernichtet hatte. Die Wörter »Kräftemehrer« und »Knochenschmied« tauchten in keinem Buch auf.
    Das hinderte mich jedoch nicht daran, mich am folgenden Abend in religiöse Texte und jeden Hinweis auf Sankt Ilja zu vertiefen, den ich finden konnte. Wie bei Heiligen üblich, war die Geschichte seines Märtyrertodes bedrückend grausam: Eines Tages war auf den Feldern hinter seinem Haus ein Pflug umgekippt. Als Ilja die Schreie hörte, eilte er zu Hilfe und stieß auf einen Mann, der seinen toten Sohn beweinte. Die Pflugscharen hatten den Körper des Jungen aufgerissen, die Erde war mit seinem Blut getränkt. Ilja erweckte den Jungen wieder zum Leben – und die Dorfbewohner dankten es ihm, indem sie ihn in Ketten legten und in den Fluss warfen, wo er durch das Gewicht der Ketten ertrank.
    Die Einzelheiten waren zutiefst widersprüchlich. Ilja war einmal ein Bauer, dann wieder ein Steinmetz oder ein Waldarbeiter. Er hatte entweder zwei Töchter oder einen Sohn oder war kinderlos. Hundert verschiedene Dörfer beanspruchten, Schauplatz seines Märtyrertodes gewesen zu sein. Außerdem war da noch das von ihm vollbrachte Wunder. Das hätte mir eingeleuchtet, wenn Sankt Ilja ein Heiler der Korporalki gewesen wäre, aber Ilja Morozow war angeblich ein Fabrikator gewesen. Was, wenn beide doch nichts miteinander zu tun hatten?
    Der Bibliothekssaal mit der Glaskuppel wurde abends von Öllampen erhellt und die Stille war so tief, dass ich meinen eigenen Atem hören konnte. Allein in diesem Dunkel zwischen den unzähligen Büchern sitzend, fiel es schwer, den Mut nicht zu verlieren. Aber die Bibliothek war meine größte Hoffnung, und so harrte ich aus. Tolja fand mich dort eines Abends, als ich in meinem Lieblingssessel saß und einen in der Ursprache Rawkas verfassten Text zu entziffern versuchte.
    »Du solltest dich hier zu so später Stunden nicht ohne einen von uns aufhalten«, sagte er brummig.
    Ich gähnte und streckte mich. Hier bestand die größte Gefahr darin, dass ein Regal auf mich stürzte, aber ich war zu müde, um zu diskutieren. »Soll nicht wieder vorkommen«, sagte ich.
    »Was ist das?«, fragte Tolja und bückte sich, um einen genaueren Blick auf das in meinem Schoß liegende Buch werfen zu können. Er war so riesig, dass ich das Gefühl hatte, ein Bär würde mir bei meiner Lektüre Gesellschaft leisten.
    »Ich weiß nicht genau. Ich habe den Namen Ilja im Index gefunden, und deshalb lese ich darin, aber ich kann es nicht entziffern.«
    »Das ist eine Liste von Titeln.«
    »Kannst du das lesen?«, fragte ich überrascht.
    »Wir sind in der Kirche aufgewachsen«, sagte er und überflog die Seite.
    Ich sah ihn an. Viele Kinder wuchsen in kirchlichen Heimen auf, aber das hieß noch lange nicht, dass alle die liturgische Sprache Rawkas lesen konnten. »Was steht da?«
    Er ließ einen Finger über die Wörter unter Iljas Namen gleiten. Seine großen Hände waren voller Narben. Unter dem groben Ärmelstoff konnte ich den Ansatz einer Tätowierung erkennen.
    »Nicht viel«, sagte er. »Sankt Ilja, der Geliebte, Sankt Ilja, der Hochgeschätzte. Dann werden noch einige Städte aufgezählt, Orte, an denen er angeblich Wunder gewirkt hat.«
    Ich setzte mich aufrechter hin. »Das wäre vielleicht ein Anfang.«
    »Du solltest in der Kapelle nachschauen. Ich glaube, in der Sakristei stehen einige Bücher.«
    Ich war oft an der Kapelle der Zaren vorbeigelaufen, hatte sie aber nie von innen gesehen. Sie war für mich immer die Domäne des Asketen gewesen, und obwohl er fort war, hatte ich wenig Lust, sie zu betreten. »Wie ist die Kapelle?«
    Tolja hob die breiten Schultern. »Wie jede andere auch.«
    »Tolja«, fragte ich mit neu erwachter Neugier, »hast du je erwogen, in die Zweite Armee einzutreten?«
    Er zog ein beleidigtes

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