Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
seinen Hochmut. Aber du wirst all das ändern. Diese Ungeheuer ertragen kein Sonnenlicht. Der Dunkle will die Volkra mit Hilfe deiner Macht ausschalten, weil er die Schattenflur danach gefahrlos betreten kann. Dann ist er endlich am Ziel. Seine Macht wird keine Grenzen mehr kennen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das würde er nie tun. Nein, das würde er nie tun.« Ich erinnerte mich an unser Gespräch am Feuer in der halb verfallenen Scheune, hatte noch seinen beschämten und besorgten Unterton im Ohr. Ich habe mein Leben lang nach einer Möglichkeit gesucht, den Schaden wiedergutzumachen. Du bist seit sehr langer Zeit mein erster Hoffnungsschimmer. »Er möchte, dass Rawka wieder vereint ist. Das hat er zu mir gesagt. Er hat gesagt …«
    Â»Was er gesagt hat, interessiert mich nicht!«, fauchte sie. »Er ist uralt. Glaubst du, er hätte im Laufe der Zeit nicht gelernt, ein einsames, naives Mädchen zu täuschen?« Sie kam auf mich zu, ihre schwarzen Augen loderten. »Denk nach, Alina. Wenn die Schattenflur Rawka nicht mehr teilt, wird die Zweite Armee überflüssig. Dann wäre der Dunkle nur noch einer von vielen Dienern des Zaren. Glaubst du wirklich, dass er von einer solchen Zukunft träumt?«
    Ich begann zu zittern. »Bitte hör auf.«
    Â»Aber als Herrscher der Schattenflur würde ihm die Zerstörung vorauseilen. Er würde die ganze Welt verwüsten und er müsste nie wieder vor einem Zaren das Knie beugen.«
    Â»Nein.«
    Â»Und all das dank dir.«
    Â»Nein!«, schrie ich. »So etwas würde ich nicht tun! Dabei würde ich ihm niemals helfen, selbst wenn deine Worte wahr wären.«
    Â»Du wirst keine andere Wahl haben. Die Macht des Hirsches geht auf denjenigen über, der ihn erlegt.«
    Â»Er könnte den Kräftemehrer nicht benutzen«, wandte ich hilflos ein.
    Â»Er kann dich benutzen«, sagte Baghra leise. »Morozows Hirsch ist kein gewöhnlicher Kräftemehrer. Der Dunkle wird den Hirsch jagen. Er wird ihn erlegen. Er wird das Geweih an sich nehmen, und sobald er es um deinen Hals gelegt hat, wirst du ihm mit Haut und Haar gehören. Dann wärst du die mächtigste Grischa aller Zeiten und er könnte sich dieser neu entdeckten Macht bedienen. Du wärst bis in alle Ewigkeit an ihn gekettet, und du wärst machtlos dagegen.«
    Was mich schließlich überzeugte, war das Mitleid in ihrer Stimme. Das Mitleid einer Frau, die mir jedes Anzeichen von Schwäche verboten und mir niemals eine Sekunde zum Verschnaufen gegönnt hatte.
    Meine Beine gaben unter mir nach und ich sank auf den Fußboden. Ich hielt mir die Ohren zu, versuchte sie vor Baghras Stimme zu verschließen. Doch ich konnte nicht verhindern, dass die Worte des Dunklen in meinem Kopf nachhallten.
    Jeder von uns dient jemandem.
    Der Zar ist ein Kind.
    Gemeinsam werden wir die Welt verändern.
    Er hatte mich belogen, was Baghra betraf. Er hatte mich belogen, was den Schwarzen Ketzer betraf. War das, was er über den Hirsch erzählt hatte, auch eine Lüge?
    Ich bitte dich, mir zu vertrauen.
    Baghra hatte ihn gebeten, mir einen anderen Kräftemehrer zu geben, doch er hatte auf dem Hirschgeweih bestanden. Auf einem Halsband – einem Reif – aus Knochen. Und als ich nachgehakt hatte, hatte er mich geküsst, und sein Kuss hatte mich alles andere vergessen lassen, ob Hirsch oder Kräftemehrer. Ich hatte noch sein makelloses Gesicht im Laternenschein vor Augen, seine verblüffte Miene, seine wirren Haare.
    War alles nur Berechnung gewesen? Sein Kuss am Seeufer, der Ausdruck des Schmerzes, der damals in der zerstörten Scheune sein Gesicht überflogen hatte, jede menschliche Geste, jedes vertraulich geflüsterte Wort, ja sogar alles, was sich heute Abend zwischen uns abgespielt hatte?
    Ich wand mich innerlich. Ich spürte noch seinen warmen Atem auf meinem Hals, hörte, wie er mir ins Ohr flüsterte. Das Problem mit dem Verlangen ist, dass es uns schwächt.
    Er hatte vollkommen recht. Ich hatte mich so sehr danach gesehnt, irgendwo und irgendwie dazuzugehören. Ich war so eifrig darauf bedacht gewesen, ihm zu gefallen, so stolz darauf, seine Geheimnisse zu bewahren. Aber mir war nie in den Sinn gekommen, seine Motive zu hinterfragen, darüber nachzudenken, was er wirklich wollte. Stattdessen hatte ich mir immer ausgemalt, wie es wäre, an der Seite des Retters von Rawka zu stehen,

Weitere Kostenlose Bücher