Grisham, John
Richter, entgeisterte Geschworene,
eine weinende Elaine, ihre reglosen Eltern in der ersten Reihe, alle gebannt
auf das Video starrend. Die bloße Vorstellung machte ihn krank.
Er fühlte sich unschuldig, war sich aber nicht sicher, ob die Geschworenen das
genauso sehen würden.
Wright ließ das Laufwerk aufspringen, nahm die Silberscheibe heraus und steckte
sie behutsam in die Hülle.
Kyle starrte auf den Teppichboden. Aus dem Flur hörte man Geräusche, gedämpfte
Stimmen, schlurfende Schritte. Vielleicht wurden die Jungs vom FBI allmählich
unruhig. Es kümmerte ihn nicht. Seine Ohren klingelten, und er wusste nicht,
aus welchem Grund.
Ein Gedanke schlug den nächsten in die Flucht, und er war unfähig, rational zu
denken und sich darauf zu konzentrieren, was gesagt und was verschwiegen werden
sollte. Die Entscheidungen, die er in diesem unangenehmen Moment traf, konnten
lebenslange Konsequenzen haben. Für einen Moment musste er an die drei
Lacrosse-Spieler von der Duke University denken, die fälschlicherweise
angeklagt worden waren, eine Stripperin vergewaltigt zu haben. Schließlich
waren sie für unschuldig befunden worden, aber erst nach einem quälenden Gang
durch die Hölle. Und in diesem Fall hatte es kein Video gegeben, keinerlei
Verbindung zu dem angeblichen Opfer.
Ist sie wach?, hörte er Joey zu Baxter sagen. Wie oft würde diese Frage durch
den Gerichtssaal hallen? Immer wieder. Wenn sich die Geschworenen zu ihrer
Beratung über das Urteil zurückzogen, würden sie das Video in- und auswendig
kennen.
Wright saß geduldig am Tisch, die stark behaarten, gefalteten Hände auf dem
Notizblock. Für ihn hatte die Zeit keine Bedeutung. Er konnte ewig warten.
Kyle
brach das Schweigen. "Sind wir im Mittelfeld?"
"Weiter.
Noch vierzig Meter bis zur Torlinie."
"Ich
würde gern die Anklageschrift sehen."
"Kein
Problem."
Kyle stand auf und blickte auf den Klapptisch. Plötzlich tat Wright etwas
Verwirrendes. Er zog seine Brieftasche hervor, nahm den Führerschein heraus und
legte ihn auf den Tisch. Dann folgte die Dienstmarke des Pittsburgh Police
Department. Schließlich holte er aus einem am Boden stehenden Karton weitere Plastikkarten
und Dienstmarken hervor und arrangierte sie in einer Reihe. Erst danach reichte
er Kyle eine Akte. "Viel Spaß beim Lesen."
Kyle öffnete die Akte, auf der ein Etikett mit der Aufschrift
"INFORMATION" klebte, und zog einige Papiere heraus. Das oberste
Blatt wirkte offiziell und war mit Fettschrift bedruckt: "Commonwealth of
Pennsylvania, Allegheny County, Court ofCommon Pleas". Darunter, in
kleinerer Schrift: "Commonwealth versus Baxter F. Tate, Joseph N.
Bernardo, Kyle L. McAvoy und Alan B. Strock". Es gab eine Nummer für die
Prozessliste, eine Aktennummer und andere offizielle Vermerke.
Wright zauberte eine Küchenschere hervor und schnitt seinen Führerschein in der
Mitte durch.
Der erste Absatz begann wie folgt: "Die Staatsanwaltschaft erhebt im Namen
des Bundesstaates Pennsylvania Anklage gegen die oben genannten Beschuldigten
... "
Wright schnitt weitere Plastikkarten entzwei, offenbar alles Führerscheine oder
Kreditkarten.
"
...die im Zuständigkeits bereich dieses Gerichtes ... " Wright riss die
bronzene Marke aus dem Lederetui und warf sie auf den Tisch.
"Was
tun Sie da?", fragte Kyle schließlich. "Ich vernichte Beweise."
"Was
für Beweise?"
"Lesen
Sie die zweite Seite."
Da er mit der ersten Seite durch war, blätterte Kyle um. Die zweite Seite war
weiß. Kein Buchstabe, kein Wort, kein Satz, nichts. Er warf einen Blick auf die
Seiten drei, vier und fünf. Alle unbeschriftet. Wright zog weitere Dienstmarken
aus der Tasche. Kyle starrte ihn an, die angebliche Anklageschrift in der Hand.
Grinsend zeigte Wright auf den KlappstuW. "Nehmen Sie doch wieder
Platz."
Kyle wollte etwas sagen, brachte aber nur einen undefinierbaren Laut hervor.
Dann setzte er sich.
"Es
gibt keine Anklage", fuhr Wright fort, als wäre damit alles klar.
"Keine Anklagejury, keine Cops, keine Festnahme, kein Prozess. Nichts als
ein Video."
"Keine
Cops?"
"Nein."
Wright zeigte auf die zerstörten Dienstmarken und Dokumente. "Der ganze
Krempel ist gefälscht. Ich bin kein Bulle. Und die Jungs in dem anderen Zimmer
sind nicht vom FBI."
Kyles
Kopf zuckte zurück wie der eines getroffenen Boxers.
Die
angebliche Anklageschrift fiel zu Boden, er rieb sich die Augen. "Wer sind
Sie?", stieß er mühsam hervor.
"Eine
gute Frage,
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