Grolar (German Edition)
laut, »Nein, kein Eisbär ... bei der Größe ... kein reiner Eisbär«, und er hauchte das Wort, »Nanulak.«
»Na-nu-lak?«, Jon betonte jede Silbe einzeln.
»Nanulak, halb Nanuk, halb Aklak«, seine Augen schienen im Trailer einen Rettungsring zu suchen.
»W...«
»Halb Eisbär, halb Grizzly, ein Grizzly gekreuzt mit einem Polar Bär ... ein Grolar. Wir nennen ihn Nanulak.«
Jon schossen mehrere Gedanken durch den Kopf. Er wusste kaum, wo er anfangen sollte, also fragte er, »Woher weißt du das?«, und dann sah er in seinem Kollegen den Inuit. Kein Salish, Cree, kein Blackfoot. Inuit war er.
»Du bist von da oben?«
»Ja. Ich bin dort aufgewachsen. Sechzehn Jahre. Das Bellen vergisst man nicht.«
»Lucky?«, fragte Cliff weinerlich.
»Nein, Junge, das war nicht Lucky, das war kein Hund. Das war ein Bär. Der Bär!«, und er richtete sich an Jon und die Frauen, »Der Grolar. Ein Cousin von mir ist Jäger, er zeigt den Anzugträgern der Welt, wo sie Eisbären schießen können. Vor zwei Jahren haben sie einen Grolar erlegt. Erst haben sie gar nicht erkannt, was sie dort geschossen hatten. Der Typ wollte natürlich nicht dafür zahlen, die wollen ein rein weißes Fell und den Kopf. Er hat dann doch. Wegen der Seltenheit. Na ja, sie sehen sie immer häufiger, die Grolars sind sehr aggressiv, aggressiver als normale Bären. Die Hunde flippen aus, wenn sie einen riechen, sagt er.«
»Aber was macht der Grolar hier?«, fragte Kelly.
»Was weiß ich?«, sagte Marten, »man weiß nicht viel über sie, außer die paar, die man erlegt hat, und dem, was die Leute erzählen, die sie erlebt haben. Bären wandern. Weite Wege. Und wenn er im Norden nichts zu fressen gefunden hat, dann hat er eben im Süden gesucht, im Westen, ihm machen die warmen Temperaturen wohl nicht so viel aus als Bastard. Zu fressen gibt es hier jedenfalls mehr als am Polarkreis.«
Die Uhrzeit 02.41 leuchtete rot auf der digitalen Anzeige der Mikrowelle. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Nur Cliff hatte sich auf der großen Matratze in der Abstellkammer zusammengerollt und träumte einen unruhigen Traum. Tara hatte vorhin neben ihm gesessen mit einer Hand auf der Decke, als drohte er, ohne sie davonzuschweben.
Marten hatte wieder im Schlafzimmer Stellung bezogen. Jon saß mit dem Rücken zur Tür auf dem davorgeschobenen Schreibtisch, das Gewehr quer auf seinem Schoß liegend und schaute Kelly zu, wie sie ein Sandwich hinter der Küchenzeile aß. Sie lehnte mit den Ellbogen müde auf der Theke, und weil sie dabei stand, bog sich ihr Rücken durch und betonte so ihren Hintern im kühlen Glanz des Mondlichts.
Sie hatte selbst um diese Uhrzeit, in dieser Situation diese Gesten drauf. Sie konnte gar nicht anders, als erotisch der Welt zu begegnen.
Wie sie so aß, konnte er kaum glauben, dass sie vor einigen Stunden noch den Verlust ihres Geliebten beklagt hatte. Bei jedem zweiten Bissen musste sie sich einige Finger ablutschen, dabei waren nur Salamischeiben auf dem Toast – ohne Butter.
Jon atmete tief ein und schaute in den Flur, um ein anderes Bild vor die Augen zu bekommen und andere Gedanken. Sein letzter Sex war zwei Monate her, drei, um genau zu sein.
Wären Kelly und er alleine im Wohnwagen, würde er ein Gespräch mit ihr anfangen. Über irgendwas. Ein Gespräch konnte überall hinführen. Er würde sich ebenfalls an die Küchentheke stellen, nicht zu nah und nicht zu weit weg, und würde darauf achten, dass das spärliche Licht ihm in die Augen schien, wenn er mit ihr sprach. Sie würde etwas erzählen, er würde etwas erzählen, etwas Leichtes, etwas Lustiges, und sie würden gemeinsam lachen, sich wie zufällig berühren, und er würde in ein anderes Leben gleiten.
Er bemerkte, dass er sie schon wieder anschaute. Es war ihm peinlich. So Typen hatte er selbst immer verspottet, Neandertaler genannt, und heute Abend war er einer von ihnen. Aus den Augenwinkeln müsste sie das bemerkt haben, sie zeigte aber keine Reaktion.
Jon wandte seinen Kopf dem großen Fenster zu, wo er den Rüttler, den Radlader und den Generatorcontainer im Blick hatte.
Diese Nacht würde sich endlos ziehen, und für ihn würde sich die Nacht noch etwas zäher dehnen, für ihn mit seinen Gedanken, an Tara, Cliff und ihre Zukunft.
Würden sie mit ihm im Motel bleiben und wieder hierher zurückkehren, oder würde sie
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