Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
Harfe. Ein Mann sang dazu eine Ballade von Freunden, die der Krieg getrennt hatte und die sich nie wieder sehen würden, weil sie auf unterschiedlichen Seiten standen.
»Es sieht wenig einladend aus und klingt deprimierend. Passt irgendwie zu dem Namen«, flüsterte Milo.
»Wer weiß, vielleicht schenken sie nur trockenen Rotwein aus, dann würde das Ambiente passen«, erwiderte Bonne. »Wollen wir hineingehen?«
»Es sollte mich wundern, wenn wir noch etwas Besseres finden. Es wird am besten sein, wenn wir erst einmal versuchen, einen Blick zu erhaschen.«
Die beiden Halblinge schlichen sich näher an die Schenke heran und versuchten durch die schmalen Ritzen in Tür und Fensterläden etwas zu erkennen.
»Ich sehe drei Typen an einem Tisch sitzen und die Beine von jemandem, der auf dem Tresen sitzt«, verriet Bonne.
»Ich sehe einen Mann und eine Frau an einem Tisch und noch zwei finster aussehende Gestalten links und rechts von ihnen. Ich kann leider keine Gesichter erkennen. Sie sitzen alle mit dem Rücken zu mir. Es scheinen alles Menschen zu sein.«
Bonne sah seinen Bruder fragend an. »Was machen wir?«
»Lass uns hineingehen«, beschloss Milo. »Vielleicht sind es irgendwelche Einsiedler oder Waldläufer, die kein Interesse an zwei Halblingen haben. Irgendwie müssen sie ja hineingekommen sein, und irgendwie müssen sie auch wieder hinausgelangen können. Würde mich wundern, wenn es hier jemand lange aushält.«
Milos Hand schloss sich sehr zaghaft um den Türknauf, als habe er Angst, das Metall könne immer noch heiß sein von dem Feuer, das hier einst gewütet hatte.
Bevor er den Knauf drehte, wandte er sich noch einmal seinem Bruder zu. »Wir verhalten uns ruhig, setzen uns ohne großes Aufsehen an den ersten freien Tisch und warten ab, ob uns jemand anspricht.«
Bonne nickte. Dann traten sie ein.
Milo strömte ein bitter süßlicher Geruch entgegen, als er den Schankraum betrat. Bonne war dicht hinter ihm und stieß angeekelt den Atem aus. Der Dielenboden knarrte bei jeder noch so vorsichtigen Berührung der nackten Halblingsfüße. »Neuankömmlinge!« schien er verkünden zu wollen. Jedoch wandte sich keiner der Gäste um oder nahm sonst in irgendeiner Art Notiz von den beiden.
»Gleich hier vorn«, flüsterte Milo und deutete auf einen leeren Tisch mit vier Stühlen direkt neben dem Eingang.
Im Gegensatz zur Fassade des Hauses hatte das Feuer im Schankraum keinen Schaden angerichtet. Die Einrichtung wirkte zwar trist und spärlich, war aber noch intakt.
Die Brüder nahmen Platz, und Milo nutzte den Moment, sich seine Umgebung und die Gäste genau anzusehen.
Die Schenke war geräumig und bot Platz für vier Dutzend Gäste. Wenn man von dem Schmutz, dem Staub und der lieblosen Einrichtung absah, konnte man erahnen, dass das Gasthaus zu den nobleren Etablissements gehört haben musste. Es schien sich tatsächlich um eine Weinstube zu handeln, wie die Gläser und schweren Kelche hinter dem Tresen vermuten ließen.
Rund ein Dutzend Gäste hatten sich im Schankraum eingefunden. Keiner von ihnen schien die Anwesenheit der zwei Halblinge bemerkt zu haben. Sie alle schauten wie gebannt auf den Mann, der auf dem Tresen saß, Harfe spielte und dazu sang. Er war so auffällig wie ein Pfau unter lauter Rebhühnern. Seine Kleidung war bunt, das Haar mittellang und graumeliert, und sein Gesangstalent ließ auf eine jahrelange Ausbildung schließen. Er musste so um die fünfzig sein, und trotz seiner farbenfrohen Aufmachung wirkte er irgendwie traurig. Milo versuchte gerade, diese Traurigkeit zu ergründen, als der Spielmann von seinem Instrument aufsah und ihn anblickte.
Der Halbling wandte den Blick peinlich berührt ab wie ein ertappter Schuljunge. Kurz danach verstummte die traurige Melodie, und Milo hörte, wie das Instrument auf den Tresen gelegt wurde.
»Sag kein Wort«, zischte er seinem Bruder zu.
Er war wie erstarrt und unfähig, den Blick von der Tischplatte vor sich zu lösen. Selbst noch, als er die in bunten Stoff gekleideten Beine des Spielmanns neben sich aus den Augenwinkeln bemerkte, reagierte er nicht. Der Mann stellte zwei leere Weinkelche vor den Brüdern auf den Tisch. Anstatt jedoch eine Bestellung aufzunehmen oder zum Tresen zurückzuhetzen, um einen edlen Tropfen zu servieren, stand er regungslos neben dem Tisch. »Als ob die Götter meine Seele nicht schon genügend strapaziert und auf die Probe gestellt hätten«, schnaubte er. »Was ist das für eine Welt, in der Kindern
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